L. Tischendorf
Bisphosphonatassoziierte Knochennekrosen der Kiefer wurden erst 2003 durch Marx beschrieben. Aufgrund mitunter sehr schwerer Verläufe rückten sie in den letzten Jahren in den Blickpunkt von Mund-, Kiefer-, und Gesichtschirurgen sowie Zahnärzten – aber offenbar etwas weniger von Onkologen und Orthopäden. Viele Fragen sind bis heute offen, weshalb sich Symposien zu diesem Krankheitsbild größter Resonanz erfreuen. Ich berichte hier über eine solche Veranstaltung, die am Rande der Jahrestagung des Deutsch-Österreichisch-Schweizer Arbeitskreises für Tumoren im Mund-, Kiefer-, Gesichtsbereich (DÖSAK) stattfand. Die wissenschaftlichen Leiter (Prof. Dr. Dr. Thomas Lambrecht und Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Florian Zeilhofer aus Basel) hatten ein logisches Konzept entwickelt: Zunächst stellten an der präklinischen Entwicklung und klinischen Einführung von Bisphosphonaten bei Novartis (Basel) führend Beteiligte Grundsätzliches zu Wirkung, Einsatz und Entwicklungstrends der Bisphosphonate vor (Dr. Jonathan R. Green, Dr. Christian Massacesi). Dann diskutierten der Onkologe Prof. Dr. Richard Herrmann, der Internist Prof. Dr. Christian Ludwig und der Endokrinologe PD Dr. Marius Kränzlin (alle Basel) den Nutzen der Bisphosphonate, ihre Nebenwirkungen und Risiken und deren Indikation bei Tumorkrankheiten und bei Osteoporose. Nach einer fundamentalen Darstellung der Funktion der Osteoklasten durch Prof. Lambrecht analysierte Prof. Dr. Dr. Klaus Grätz aus Zürich die Ätiologie der Osteonekrosen. Die abschließenden drei Vorträge der Professoren Dr. Dr. Rolf Ewers, Dr. Dr. Thomas Kreusch und PD Dr. Dr. Claude Jaquiéry beschäftigten sich mit der Prävention der bisphosphonatassoziierten Knochennekrosen sowie mit deren chirurgischer Therapie unter resektiven-rekonstruktiven und konservativ-regenerativen Aspekten. Der Wert der Veranstaltung bestand darin, dass jeder dieser Teilaspekte von hochgradig kompetenten Fachwissenschaftlern für das jeweils genannte Gebiet vorgetragen und sachkundig hinterfragt wurde.
Es ergibt sich folgendes, mit aller Vorsicht zu zeichnendes aktuelles Gesamtbild:
Für die auch anderweitig weit verbreiteten Bisphosphonate wurden 1969 Modulationen des Stoffwechsels nachgewiesen, die bald therapeutisch genutzt wurden bei der tumorbedingten lebensbedrohlichen Hyperkalzämie, für die Prävention tumorbedingter skelettal relevanter Ereignisse (SRE: pathologische Frakturen, Rückenmarkskompressionen, Knochenmetastasen), bei der Osteoporose und dem M. Paget. Da bei oraler Gabe nur 1 % aufgenommen wird, erkannte man viele Wirkungen und Nebenwirkungen erst nach Einsatz intravenös applizierbarer Bisphosphonate. Auffällig sind eine langzeitige Bindung an Knochengewebe und damit
eine hohe Halbwertszeit des Präparates, für die noch ungeklärt ist, ob damit auch eine ebenso lange biologische Wirkungsdauer verbunden ist. Es ist keine gesteigerte Bindung an Unterkiefer oder Zähne nachweisbar. Eine höhere Bisphosphonatbindung wird jedoch bei entzündlichen Knochenveränderungen angegeben. Neueste Erkenntnisse legen Wirkungen des Zometa nahe auf die Tumorangiogenese sowie eine Vorbeugung von Knochenmetastasen (bei Respondern). Wie bei anderen Präparaten stehen verbesserte Hauptwirkungen und höhere Anzahlen von Nebenwirkungen in engem Zusammenhang. Erfasst sind Anwendungen an über 2 Millionen Patienten. Bisphosphonatassoziierte Knochennekrosen wären bei ca. 3000 Fällen weltweit registriert (0,15 %)
– besonders beim Einsatz bei Brustkrebs und beim Plasmozytom. In Europa sei die Komplikationsrate mit 0,32 % höher. Ihre Häufigkeit werde nach Studien von Hoff (2006) bestimmt von der Dauer der Verordnung (über 60 Monate: 33 %, 4–12 Monate nur 1,5 %), dem Anlass für die Verordnung (Tumoren – höher – vs. Osteoporose) und vom Sanierungsgrad der Mundhöhle. Eine Fülle von Kofaktoren ist denkbar: begleitende Chemotherapie, Steroidtherapie, gestörte Immunabwehr, Nikotinabusus. Prospektive Studien zeigten, dass orale präventive Maßnahmen die Ereignishäufigkeit der bisphosphonatassoziierten Knochennekrosen senken können und zwar um
70 %. Ziel der Bisphosphonattherapie sei heute die Verminderung oder zumindest Verzögerung des Eintrittes von schwerwiegenden skelettal relevanten Ereignissen. Viele Fragen zu den hoch wirksamen Bisphosphonaten sind noch ungeklärt, insbesondere auch, wie lange sie zu verordnen sind (derzeitige Richtlinie: Mamma-, Prostata- und solide Tumoren ca. zwei Jahre) und welche Spätkomplikationen auftreten können. Während bei Tumoren sowohl aufgrund ihrer Effektivität als auch angesichts der begrenzten Lebenserwartung der Patienten der Einsatz hochpotenter und damit hinsichtlich ihrer Induktion bisphosphonatassoziierten Knochennekrosen hochriskanter Bisphosphonate unbestritten berechtigt ist, könnte man bei der Osteoporose andere Anschauungen vertreten. Insofern waren die Darstellungen des Endokrinologen Kränzlin zur Osteoporose und dem Einsatz der Bisphosphonate sehr wichtig. Grundlage sind aktuelle Daten, nach der bei Frauen über 50 das Risiko osteoporosebedingter Frakturen bei über 50 % liegt. Eine Selektion nach Risikofaktoren kann altersbezogen nach dem FRAX (Frakturrisiko-Schätzungshilfe) berechnet werden. Übersteigt dieser Wert 15 % oder lag bereits eine Fraktur vor, dann ist die Osteoporose therapiebedürftig, Eine Möglichkeit besteht in der Verabreichung der Bisphosphonate sowohl oral oder (mit deutlich verlängerter Wirksamkeitspersistenz) intravenös. Danach sinkt nicht nur das Frakturrisiko, sondern auch die Mortalität. Auch nach Absetzen der Bisphosphonate bleibe ein hohes Prophylaxeniveau erhalten. Nach heutiger Auffassung sollte eine Osteoporosebehandlung bei schweren Formen zehn Jahre, bei leichteren fünf Jahre fortgeführt werden. Die Dosis bei der Osteoporose beträgt etwa 1/12 der Tumorbehandlung.
Hinsichtlich Genese und Therapie der bisphosphonatassoziierten Knochennekrosen sind viele Fragen ungeklärt. Möglicherweise könnte die Häufung im Kieferbereich etwas zu tun haben mit dem (umstrittenen) höheren Knochenumsatz im Kieferkamm oder der im Vergleich zu anderen Knochen höheren Wahrscheinlichkeit für Entzündungen (fortgeleitet von Zähnen oder von Prothesendruckstellen). Bedeutsam könnte sein, dass Bisphosphonate auch auf Weichgewebe toxisch wirken. Rätselhaft bleibt die Ursache für die hohe Keimbesiedlung mit Aktinomyzeten. Die bisphosphonatassoziierte Knochennekrose wird in drei Grade eingeteilt: Grad 1: Exponierter Knochen ohne Schmerzen, Grad 2: exponierter Knochen mit Schmerzen und Grad 3: exponierter Knochen mit ausgedehnter Infektion. Grad 2 sollte durch konservative Maßnahmen (Antibiose, Chlorhexidinspülungen) in Grad 1 überführt werden. Beim operativen Vorgehen scheint neben einer antibiotischen Abschirmung der sichere intraorale zweischichtige Wundverschluss von Bedeutung zu sein. Die Knochenabsetzung macht hinsichtlich der Beurteilung der Grenzen der Nekrose Schwierigkeiten. Markierungen mit Tetracyclinen (Arbeitsgruppe aus München) oder die Bestimmung des Sauerstoffpartialdruckes im Knochen (Schubert und Meyer-Halle) könnten hilfreich sein. Prof. Ewers verzichtet allerdings bei einem mehr konservativen operativen Vorgehen auf
eine sichere Absetzung bis in den blutenden Knochen hinein. Eine hyperbare Sauerstoffbehandlung habe wenig Effekt. Sanierungen sollten möglichst noch vor Einleitung der Bisphosphonattherapie erfolgen. Bei bisphosphonatbehandelten Patienten sollten elektive chirurgische Eingriffe vermieden werden, auch die Zweckmäßigkeit der Endodontie solle überprüft werden. Implantate sind bei intravenös applizierten Bisphosphonaten kontraindiziert. Bei oraler Verordnung könne man sich an CTX- Werten (C- terminales Telopeptid als Marker für die osteoklastische Aktivität) orientieren: Lägen sie unter
150 pg/ml sei das Risiko für eine bisphosphonatassoziierte Knochennekrose gering. Das Absetzen der Bisphosphonate bei der Behandlung der bisphosphonatassoziierten Knochennekrose wird angesichts der extremen Halbwertszeit der Bisphosphonate widersprüchlich diskutiert
Letztlich bleiben viele Fragen offen und es gibt es mehr Meinungen als wissenschaftlich fundierte Daten. Aus meiner Sicht sollten diese dadurch erhöht werden, dass entsprechende Fälle – auch Früh- und Verdachtsfälle – in Register
z. B. in das Zentralregister der Osteonekrosen des Kiefers unter Bisphosphonattherapie an der Charité in Berlin (www.charite.de/zmk) eingespeist werden. Über das individuelle Risiko für bisphosphonatassoziierte Knochennekrosen bei dem konkreten Patienten sollte man sich ein Bild machen mittels des ASO- Laufzettels (www.onkosupport.de/asors.). Persönlich würde ich hinsichtlich einer elektiven Versorgung mit Implantaten sehr zurückhaltend sein, auch wenn das Argument von Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz (Wiesbaden) auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Implantologie 2008 in Frankfurt am Main nicht von der Hand zu weisen ist, dass das Risiko für die Entstehung einer bisphosphonatassoziierten Knochennekrose infolge von Prothesendruckstellen bei schlecht haftendem Zahnersatz vielleicht genauso hoch oder sogar höher sein könnte, wie bei korrektem, atraumatischem Einbringen eines Implantates. Aber dafür gibt es nur Vermutungen und keine Daten. Offen bleibt für mich vor allem das Verhalten bei den vielen Osteoporosepatienten, über das wir schon einmal 2002 auf der Tagung der Österreichischen Gesellschaft für orale Chirurgie und Implantologie in Kitzbühel meinten, alles gesagt zu haben.
Das Fortbildungssymposium gab also viele Anregungen zum Nachdenken, was der sorgfältigen Auswahl der Referenten und einer bemerkenswert anregenden Moderation durch Prof. Ewers aus Wien zu danken war.
L. Tischendorf, Halle/Saale