Konzepte im Wettstreit

Das Motto des 33. Kongresses der DGI versprach Spannung und Debatte. Die Referentinnen und Referenten haben diese Erwartungen erfüllt.

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„Konzepte im Wettstreit“: Mit diesem Motto war es den verantwortlichen Kongresspräsidenten – DGI-Vizepräsident Prof. Dr. Florian Beuer MME (Berlin) und DGI-Pastpräsident Prof. Dr. Frank Schwarz (Frankfurt) gelungen, rund 1800 Zahnärztinnen und Zahnärzte in die Hansestadt zu locken. Deren Erwartungen wurden erfüllt.

Jeweils zwei ausgewiesene Expertinnen und Experten präsentierten ihre Konzepte und Lösungsmöglichkeiten entlang des implantologischen Therapieverlaufs – angefangen bei der Diagnostik und Planung über den richtigen Implantationszeitpunkt und die Wahl von Implantatmaterialien bis hin zum Thema festsitzender bzw. herausnehmbarer Versorgungen. Diskutiert wurden ebenso prothetische Konzepte und Strategien für die Augmentation von Weich- und Hartgeweben sowie Therapiekonzepte bei Periimplantitis. Hinzu kamen die beliebten Tischdemonstrationen sowie Workshops und Symposien.

Prof. Dr. mult. Robert Sader (Frankfurt) erinnerte in seinem Eröffnungsvortrag „Implantologische Behandlungskonzepte im Wandel der Zeit – von der Mechanik zur Biologie“ daran, dass so manche heutige Innovation auf bereits früh gedachten Visionen basiert und frühen Visionären vom Fach zu verdanken ist. Sein roter Faden war die Frage: Was ist Innova­tion? Die Antwort: „Überraschend und oft chaotisch.“

Der Blick nach vorn war verbunden mit der Frage: Was kann es heute an Innovationen geben? Ein paar Beispiele hatte der Experte mitgebracht. Der wassergekühlte Laser für die Knochenbehandlung hat offenbar Potenzial, ebenso die Zahnextru­sion für gesundes natürliches Alveolen-Gewebe. Das Arbeiten mit PRF ist besser wegen langsamerer Zentrifugalkraft.

Ein starkes Thema waren patientenindividuelle Implantate. Früher war der Zylinder „die Form“, heute ist die natürliche Zahnwurzel das Vorbild. Erste Konzepte befinden sich in der Erprobung. Eines seiner Resümees: Über die Regeneration des Weichgewebes wisse der Berufsstand heute weniger als über die Regeneration des Knochens. Eine Prognose: „Das Weichgewebemanagement ist die Zukunftstechnologie für die Implantologie.“

Die Kongresspräsidenten hoben in der Pressekonferenz vor allem zwei Bereiche heraus, die die Implantologie zurzeit besonders stark beeinflussen: die Digitalisierung sowie neue Entwicklungen bei den Implantaten. Die Digitalisierung schreitet in der Zahnmedizin schon seit längerer Zeit in großen Schritten voran. Zahnersatz wird am Computer konstruiert, auf der Basis von 3D-Daten kann die optimale Implantatposition für den Eingriff geplant werden. Inzwischen zeichnen sich noch weitere Möglichkeiten ab, wie sich mithilfe digitaler Verfahren zusätzliche Informationen gewinnen lassen, die für die chirurgische Behandlung wichtig sind. Als Beispiel nannte Professor Schwarz moderne Intraoralscanner, die es u.a. erlauben, Volumenänderungen nach einer Augmentation von Weichgewebe zu visualisieren. Mit einer speziellen Software lässt sich die Zunahme des Volumens sogar in Prozent und Millimetern exakt berechnen. Schwarz: „Eine wichtige Basis für wissenschaftliche Untersuchungen, um Konzepte für das Weichgewebemanagement zu bewerten.“ Untersuchungen mit der digitalen Volumentomografie (DVT), die heute mit einer geringeren Strahlendosis oft möglich ist, können Informationen über die Qualität des Knochens wie die Knochendichte liefern.

Implantationszeitpunkt. Viel Bewegung ist derzeit in der Diskussion über den besten Implantationszeitpunkt. Insbesondere in der ästhetischen Zone, dem Frontzahnbereich, gibt es gute Argumente für die Sofortimplantation und Sofortversorgung von Implantaten mit Zahnersatz. „Moderne Implantate mit sogenannten progressiven Gewinden mit hoher Primärstabilität verstärken diesen Trend und dieser steht direkt im Zusammenhang mit den digitalen Konzepten für den Workflow“, erläuterte Professor Beuer. „Wir können den Zahnersatz für Sofortversorgungen relativ einfach erstellen, bevor das Implantat überhaupt gesetzt ist. Dies erfordert jedoch Implantate mit hoher Primärstabilität.“ Zu diesem Thema gab es auch erstmals eine Live-OP auf dem Kongress.

Wie Prof. Dr. Hans-Joachim Nickenig (Köln) betonte, eröffnet die digitale 3D-basierte Planung unterschiedliche implantatchirurgische und implantatprothetische Versorgungsformen. So seien neben achsengerecht inserierten Implantaten nun auch abgewinkelte und Sonderformen von Implantaten (z.B. Zygoma) dank exakterer Planung wieder in Verwendung und nicht nur bei Tumorpatienten, wie es früher der Fall war. Prothetisch fänden neben den etablierten Versorgungen vermehrt festsitzende Sofortversorgungskonzepte Verwendung, die erst durch die aufwendige Planung möglich geworden sind.

Wissenschaftlich gesehen, so Professor Nickenig, habe kaum ein Bereich der Implantologie in den letzten Jahren eine so rasante Entwicklung genommen und sei so anerkannt wie die digitale Planung in der Implantologie. Seine Prognose: 3D-basierte Verfahren werden sich weiter durchsetzen, ebenso der digitale Workflow insgesamt. Der 3D-Druck spielt bei der 3D-basierten Planung eine große Rolle. „Die intraoperativ verwendeten Materialien für Schablonen u.Ä. werden hohe Anforderungen an Biokompatibilität und Hygiene erfüllen müssen, die eher Spe­zialunternehmen übernehmen werden und vielleicht nicht mehr das Zahnlabor um die Ecke“, prognostizierte der Experte.

Materialien. Ganz ohne Frage ist Titan seit den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts im Bereich der enossalen Implantologie der weltweit am häufigsten verwendete Werkstoff; wobei insbesondere durch Oberflächenmodifikationen (Rauigkeit, Hydrophilie etc.) seit den grundlegenden Arbeiten von Brånemark erhebliche Fortschritte in der Hart- und Weichgewebe-Integration gemacht wurden.

Implantate aus Zirkonoxidkeramiken mit einer der Titanentwicklung vergleichbaren Oberflächenstrukturierung befinden sich mittlerweile in der klinischen Anwendung. In prospektiven klinischen Untersuchungen haben sie sich als dem Titan vergleichbar und ähnlich erfolgreich und zuverlässig erwiesen. Klinisch kommen sie vor allem als einteilige Implantate zum Einsatz, obwohl sich inzwischen auch einige zweiteilige Keramikimplantate in klinischer Anwendung befinden. „Die rasante Entwicklung neuer Materialmodifikationen sorgt dafür, dass seriöse prospektiv vergleichende Langzeitstudien kaum möglich sind, da bis zum Vorliegen dieser Daten bereits neue Modifikationen diskutiert und auch klinisch schon angewandt sowie teilweise am Patienten auch erprobt werden“, beschrieb Prof. Dr. Dr. Wilfried Wagner (Mainz) bereits vor dem Kongress eine problematische Folge des Tempos. „Da werden die Maßgaben der neuen europäischen Medizinprodukterichtlinie (MDR) sicherlich strengere Vorgaben für die Zulassung und klinische Prüfungen bringen“, so seine Prognose.

Implantationszeitpunkt. Das Podium zum Thema „Implantationszeitpunkt“ eröffnete der Moderator Prof. Dr. Dr. Bilal AlNawas (Mainz) mit dem Satz: „Wenn man in der Implantologie Emotionen wecken will, muss man nur das Wort ‚Sofortimplantation‘ aussprechen.“

Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake (Göttingen) belegte mit einem Feuerwerk von Daten, dass das Ergebnis der Sofort­implantation auf vielen Feldern einem verzögerten Vorgehen nur wenig nachsteht, wenn man mit viel Expertise arbeitet und die für dieses Verfahren passenden Patienten auswählt. Auch hinsichtlich der Überlebensraten der Implantate liege das Sofortvorgehen fast gleichauf mit der verzögerten Behandlung, so Schliephake. Letztere zeige leicht bessere Quoten, jedenfalls beim Einzelzahnersatz. Gehe es um eine „Full-Arch“-Versorgung seien die Ergebnisse identisch.

Er werde sich nicht, wie vielleicht erwartet, gegen die Sofortimplantation aussprechen, betonte der zweite Referent zum Thema, Prof. Dr. Daniel Buser (Bern). Buser stellte die Individualität des Patienten in den Mittelpunkt seines Vortrags und betonte, dass nach einer Extraktion das umgebende Gewebe in der Regel auch kompromittiert sei.

In der Diskussion wurden viele Fakten pro und contra Sofortimplantologie ausgetauscht. Das Fazit: Es ist wichtig, dass dieses Thema auf dem Kongress so offen diskutiert wurde. Einen „Gewinner“ gebe es bei diesem Wettstreit nicht – außer dem Patienten, für den und mit dem die richtige Wahl getroffen werde, so die einhellige Meinung.

„Sind festsitzende Versorgungen stets die beste Lösung“, fragte Prof. Dr. Stefan Wolfart (Aachen) in der Pressekonferenz. Interessanterweise entspreche dies nicht den Studienergebnissen. So gibt es Patientengruppen, die eine abnehmbar verankerte Implantatversorgung einer festsitzenden Lösung vorziehen. Somit sei eine optimale Therapieplanung unter Berücksichtigung des Patientenwunsches, der Belastbarkeit des Patienten und der anatomischen Gegebenheiten möglich, so Wolfart.

Prothetik. Zum Thema Prothetik betonte Professor Beuer, dass der Trend weggehe von extrem komplexen zahntechnischen Versorgungen. Gründe seien die bessere Diagnostik und Planung eines Eingriffs. „Einfachheit ist ein Zeichen von Reife“, so Professor Beuer, der lieber eine komplexe Chirurgie macht, die eine einfache Prothetik ermöglicht, als eine einfache Chirurgie mit komplexer Prothetik.

Augmentationen. Beim Vergleich unterschiedlicher Augmentationsverfahren spielt laut Prof. Schwarz die Invasivität der Konzepte eine wichtige Rolle. Inzwischen gebe es viele neue Daten und Studien, die alte Konzepte in ein neues Licht rücken. „Wir können heute bei vielen Indikationen minimalinvasiv behandeln mit vorhersehbaren Ergebnissen.“ Hinzu komme die Erwartung der Patienten. Diese wünschen sich minimalinvasive Verfahren und nicht den großen chirurgischen Eingriff. Und genau diese Ansätze wurden auf dem Kongress gegenübergestellt.

Prof. Al-Nawas, der zusammen mit Dr. Dr. Anette Strunz (Berlin) den nächsten Kongress der DGI vorbereitet, der 2020 zusammen mit der EAO in Berlin statt­findet, brachte die Bedeutung der Kongresse am Ende der Pressekonferenz auf den Punkt: „Man hört ja manchmal, die Kongresse seien tot. Hier zeigt sich: Der Kongress ist voll. Das liegt vor allem daran, dass man aus den Foren so vieles Brauchbare mit zurück in die Praxis nimmt.“


(Stand: 03.03.2020)

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