Maximale Ästhetik bei minimaler Behandlungsdauer

DOI: 10.53180/ZZI.2023.0038-0043

Sofortimplantation mit simultaner Rezessionsdeckung in ästhetischer Zone

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Schlüsselwörter: Bindegewebstransplantat Frontzahnästhetik Rezessionsdeckung Sofortimplantation Tunneltechnik

Zusammenfassung: Der Verlust eines Frontzahns in einem ansonsten naturgesunden Gebiss stellt für Zahnarzt und Zahntechniker eine große Herausforderung dar. Erst recht, wenn sowohl Hart- als auch Weichgewebe rekonstruiert werden müssen. Um für den Patienten maximale Ästhetik bei minimaler Behandlungsdauer zu erzielen, haben sich Sofortimplantations- und Sofortbelastungskonzepte etabliert. Auch bei unvollständig erhaltener Alveole und Weichgewebsdefiziten können zuverlässig langzeitstabile Ergebnisse erzielt werden. Ziel dieser Falldarstellung ist es, eine komplexe einzeitige Rehabilitation von Weich- und Hartgewebe in Verbindung mit Sofortimplantation in der ästhetischen Zone exemplarisch darzustellen.

Schlüsselwörter: Sofortimplantation; Sofortbelastung; Rezessionsdeckung; Tunneltechnik; Bindegewebstransplantat; Augmentation; Implantat; Frontzahnästhetik

Zitierweise: Stumpf T: Maximale Ästhetik bei minimaler Behandlungsdauer. Z Zahnärztl Implantol 2023; 39: 38–43

DOI.org/10.53180/ZZI.2023.0038-0043

Einleitung

Um Patienten ein möglichst zeitsparendes Therapiekonzept bei Zahnverlust anbieten zu können, wurden die Techniken der Sofortimplantation immer weiter verfeinert und haben sich als Routineverfahren etabliert. Besonders in der Oberkieferfront erwarten Patienten ästhetisch perfekte Ergebnisse. Esposito et al. zeigten beim Vergleich der unterschiedlichen Implantationszeitpunkte, dass es keinen statistisch signifikanten Unterschied in Bezug auf Misserfolg, Komplikationen und Patientenzufriedenheit gibt [5]. Je früher die Implantation erfolgte, desto besser war jedoch das ästhetische Ergebnis.

Ein vollständiger oder partieller Verlust der faziellen Knochenlamelle stellte früher eine Kontraindikation der Sofortimplantation dar. Aktuelle Daten zeigen auch für diese Ausgangssituation im 5-Jahres-Follow-up langzeitstabile Resultate bzgl. Implantatüberlebensrate, Ästhetik und Knochenniveau [8]. Aus derselben Gruppe stammen Daten, die gute klinische und ästhetische Ergebnisse nach Sofortimplantation in Verbindung mit Sofortversorgung sowie simultaner Rezessionsdeckung zeigen [9].

Klinischer Fall

Ausgangssituation

Ein 28-jähriger Patient stellte sich mit der Bitte um Beratung bzgl. einer rezidivierenden Lockerung der Krone inkl. Stiftverankerung an Zahn 21 vor. Der Zahn wurde in Folge eines Sportunfalls endodontisch behandelt und mittels adhäsivem Stift-Stumpfaufbau sowie einer vollkeramischen Krone prothetisch versorgt. Die allgemeine Anamnese war unauffällig. Das Ausgangsröntgenbild zeigte eine stark ausgehöhlte Zahnwurzel (Abb. 1). Eine Neuversorgung erschien aufgrund der massiven Vorschädigung nicht sinnvoll.


Als Nebenbefund fielen Rezessionen der Miller Klasse I an den Zähnen 12, 11, 21 und 22 bei gleichzeitig mittelhoher Lachlinie auf (Abb. 2a–c). Der Behandlungsplan sah eine Extraktion mit anschließender Sofortimplantation und Sofortbelastung sowie simultaner Rezessionsdeckung an den Nachbarzähnen vor.


Implantation

In der Zeit zwischen Erstbefundung und Implantation (3 Monate) hatte sich die Krone samt Stiftaufbau erneut gelockert. Da der Patient keine Beschwerden hatte, wurde er nicht vorstellig und beließ die gelockerte Versorgung in situ. Die bakterielle Besiedlung des Frakturspalts führte dazu, dass sich bukkal ein entzündlicher Prozess etablierte, der eine Teilresorption der fazialen Knochenlamelle zur Folge hatte.

Nach Entfernung des gelockerten Aufbaus erfolgte die schonende Extraktion der Wurzel unter Verwendung des Benex Systems (Helmut Zepf Medizintechnik u. Fa. Hager & Meisinger, Seitingen-Oberflacht, Deutschland) (Abb. 3a–d). Es handelte sich um eine Extraktionsalveole vom Typ 3 nach Elian et al. bei nur geringgradigem Weichgewebsdefizit [4]. Die Exkochleation der Alveole sowie die Entfernung des entzündlich infiltrierten Weichgewebes bukkal erfolgte unter Zuhilfenahme des OP-Mikroskops.


Eine nicht ausreichend gereinigte Alveole stellt ein erhöhtes postoperatives Infektionsrisiko dar. Durch die Kombination einer leicht unterdimensionierten Implantatbettaufbereitung sowie der Verwendung eines Implantats mit aggressivem Gewindedesign (Conelog Progressive Line Länge 13 mm, Durchmesser 4,3 mm, Fa. Camlog, Wimsheim, Deutschland) konnte eine Primärstabilität von 37 Ncm erzielt und mit dem geplanten Sofortbelastungskonzept fortgefahren werden. Um die korrekte vertikale Position des Implantates (3,5–4 mm unterhalb des bukkalen Weichgewebsniveaus) festzulegen, musste die geplante koronale Verschiebung zwingend mitberücksichtigt werden [7] (Abb. 4a–c). Die Rekonstruktion der partiell verloren gegangenen bukkalen Lamelle sowie die Auffüllung der restlichen Alveole erfolgte mit einem Gemisch aus partikuliertem allogenem Knochenersatzmaterial (Human Spongiosa CHB, Botiss Biomaterials, Zossen, Deutschland) sowie autologen Knochenspähnen, die bei der Implantatbettaufbereitung gewonnen wurden.


Rezessionsdeckung

Die exponierten Wurzeloberflächen wurden zur Dekontamination gründlich kürettiert und geglättet. Zur Optimierung der Rot-Weiß-Ästhetik wurde das Weichgewebe im Gebiet zwischen 13–23 mit scharfen Instrumenten tunneliert und basal ausreichend mobilisiert (Abb. 5).


Das autologe Bindegewebstransplantat (BGT) wurde in reduzierter Größe entnommen, um lediglich im Bereich der mittleren Schneidezähne das Gewebe zu verdicken. Da in regio 21 aufgrund des entzündlichen Prozesses mit erhöhten Umbauprozessen sowie einem stärkeren Gewebsverlust zu rechnen war, wurde das BGT hier in leicht verdickter Schichtstärke eingebracht (Abb. 6). Das BGT wurde über intrasulkuläre Nähte mit 6/0-Polypropylen-Nahtmaterial (Fa. Medic, Kilkis, Griechenland) in den angrenzenden Parodontien palatinal fixiert und der mobilisierte Lappen über Umschlingungsnähte koronal verschoben. Um das Band an keratinisierter Gingiva an Zahn 11 etwas zu verbreitern, wurde das BGT leicht exponiert positioniert (Abb. 7a–c). Der Patient wurde für den Zeitraum von 3 Stunden präoperativ bis 10 Tage postoperativ mit Amoxicillin-Clavulansäure 875/125 mg antibiotisch abgeschirmt.


Die Anfertigung des verschraubten Langzeitprovisoriums erfolgte im volldigitalen Workflow. Intraoperativ wurde die Implantatposition mittels Intraoralscan an das Labor übermittelt. Bei Eingliederung am Folgetag stellten sich völlig reizlose Wundverhältnisse dar (Abb. 8). Es ist zu beachten, dass die provisorische Krone frei von jeglichen statischen oder dynamischen Okklusionskontakten ist. Nach 14 Tagen wurden bei unauffälliger primärer Wundheilung alle Nähte entfernt (Abb. 9).


Prothetische Versorgung

3 Monate postoperativ stellten sich stabile Weichgewebsverhältnisse dar (Abb. 10a–c) und das ausgeformte Emergenzprofil konnte mittels individualisiertem Abform­pfosten an den Techniker übermittelt werden (Abb. 11a/b). Die palatinal verschraubte endgültige Restauration, bestehend aus einer Titanklebebasis und einem verblendetem Zirkoniumdioxidabutment, diente zur finalen Weichgewebsausformung (Abb. 12a–c).

Diskussion

Der Trend zu Sofortimplantationen kombiniert mit Sofortbelastungskonzepten hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen und wird durch Überlebensraten von über 95 % in der Literatur gestützt [3]. Selbst bei unvollständig erhaltener Alveole können verlässlich gute und langzeitstabile Ergebnisse erzielt werden [8]. Bei simultaner Rezessionsdeckung zeigte die zusätzliche Verwendung eines BGT eine stärkere Reduktion der Rezession sowie einen geringeren Knochenverlust nach einem Beobachtungszeitraum von bis zu 8 Jahren [9].

Die Anwendung eines autologen BGT geht mit einem zusätzlichen OP-Gebiet sowie sich daraus ergebender Morbidität einher. Sie zeigt bei Rezessionsdeckungen in Kombination mit einem koronal verschobenen Lappen allerdings die besten Ergebnisse [2] und stellt die einzige Möglichkeit dar, das Band an keratinisierter Gingiva zu verbreitern [11].

Das gewählte Vorgehen trägt zu einem maximalen Strukturerhalt ohne jegliche Narbenbildung und einem ästhetisch sehr guten Ergebnis bei. Im Pink Esthetic Score konnte bereits unmittelbar nach Einsetzen der definitiven Restauration ein Wert von 12 erzielt werden [6] (Tab. 1). 15 Monate nach Implantation stellten sich die Weichgewebsverhältnisse als stabil dar. Die mesiale Papille hatte sich vollständig regeneriert (Abb. 13a). An Zahn 11 war ein weiterer Zugewinn an keratinisierter Gingiva zu beobachten. Der Pink Esthetic Score konnte um einen weiteren Punkt auf 13 verbessert werden (Tab. 1). Röntgenologisch war im Bereich der distalen Implantatschulter ein leichtes Remodeling zu erkennen (Abb. 13b).

PES

ZE Eingliederung

15 Monate nach Implantation

Mesiale Papille

1/2

2/2

Distale Papille

2/2

2/2

Weichgewebsniveau

2/2

2/2

Weichgewebskontur

1/2

1/2

Alveoläre Knochendefizite

2/2

2/2

Weichgewebsfarbe

2/2

2/2

Weichgewebsmorphologie

2/2

2/2

Ergebnis

12/14

13/14

Tab. 1: Pink Estethic Score zum Zeitpunkt der ZE-Eingliederung sowie 15 Monate nach Implantation


Als alternative Vorgehenstechnik können die Multi-Layer-Technik (MLT) oder die Socket-Shield-Technik (SST) diskutiert werden. Bei der MLT erfolgt die Rekonstruktion des Alveolarkamms durch eine Kombination aus partikuliertem Knochenersatzmaterial, einer xenognen kortikalen Knochenlamina sowie einem autologen BGT [10]. Schuh et al. konnten 100 % Implantatüberlebensrate nach 5 Jahren zeigen [10]. Die SST sieht das Belassen einer dünnen bukkalen Wurzelscheibe vor. Somit wird die Resorption des Bündelknochens verhindert und zeigt einen guten volumetrischen bukkalen Strukturerhalt [1]. Sowohl für SST als auch für MLT gibt es allerdings noch keine Daten für ein simultanes Vorgehen mit einer Rezessionsdeckung.

Danksagung: Die endgültige prothetische Versorgung wurde von Zahntechnikermeister Stefan Picha (Dentallabor „Oral Design“, Fürth, Deutschland) angefertigt.

Interessenkonflikte: Der Autor gibt an, dass im Zusammenhang mit diesem Beitrag und außerhalb des Beitrags keinerlei Interessenkonflikte bestehen.

Dr. Thomas Stumpf

32schönezähne – Zahnarztpraxis für Parodontologie und Implantologie,

Forchheim

thomas.stumpf@32schoenezaehne.de


Literatur

  1. Bäumer D, Zuhr O, Rebele S et al.: Socket Sshield Technique for immediate implant placement – clinical, radiographic and volumetric data after 5 years. Clin Oral Implants Res 2017; 28:1450–8
  2. Cairo F, Barootchi S, Tavelli L et al.: Aesthetic-And patient-related outcomes following root coverage procedures: A systematic review and network meta-analysis. J Clin Periodontol 2020; 47: 1403–15
  3. den Hartog L, Slater JJ, Vissink A et al.: Treatment outcome of immediate, early and conventional single-tooth implants in the aesthetic zone: a systematic review to survival, bone level, soft-tissue, aesthetics and patient satisfaction. J Clin Periodontol 2008; 35: 1073–86
  4. Elian N, Cho SC, Froum S et al.: A simplified socket classification and repair technique. Pract Proced Aesthet Dent 2007; 19: 99–104; quiz 6
  5. Esposito M, Zucchelli G, Cannizzaro G et al.: Immediate, immediate-delayed (6 weeks) and delayed (4 months) post-extractive single implants: 1-year post-loading data from a randomised controlled trial. Int J Oral Implantol 2017; 10: 11–26
  6. Fürhauser R, Florescu D, Benesch T et al.: Evaluation of soft tissue around single-tooth implant crowns: the pink esthetic score. Clin Oral Implants Res 2005; 16: 639–44
  7. Hermann JS, Buser D, Schenk RK et al.: Biologic width around titanium implants. A physiologically formed and stable dimension over time. Clin Oral Implants Res 2000; 11: 1–11
  8. Noelken R, Moergel M, Kunkel M et al.: Immediate and flapless implant insertion and provisionalization using autogenous bone grafts in the esthetic zone: 5-year results. Clin Oral Implants Res 2018; 29: 320–7
  9. Noelken R, Moergel M, Pausch T et al.: Clinical and esthetic outcome with immediate insertion and provisionalization with or without connective tissue grafting in presence of mucogingival recessions: A retrospective analysis with follow-up between 1 and 8 years. Clin Implant Dent Relat Res 2018; 20: 285–93
  10. Schuh PL, Wachtel H, Beuer F et al.: Multi-Layer Technique (MLT) with Porcine Collagenated Cortical Bone Lamina for Bone Regeneration Procedures and Immediate Post-Extraction Implantation in the Esthetic Area: A Retrospective Case Series with a Mean Follow-Up of 5 Years. Materials (Basel). 2021; 14
  11. Tavelli L, McGuire MK, Zucchelli G et al.: Extracellular matrix-based scaffolding technologies for periodontal and peri-implant soft tissue regeneration. J Periodontol 2020; 91: 17–25

(Stand: 01.03.2023)

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