Präzision diverser Implantatsysteme

Statisch-navigierte Implantation im Rahmen eines „full-guided“-Implantatprotokolls

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Schlüsselwörter: Implantatsysteme aktuelle Studien statisch-navigierte Implantation ungeführte Implantationen

Einleitung

Ein wesentlicher Faktor für den Implantaterfolg ist die korrekte Positionierung und Angulierung des Implantatkörpers im Zuge der Implantatinsertion, wodurch die Anfertigung einer suffizienten prothetischen Versorgung ermöglicht wird. Eine Abweichung von der Idealposition kann entsprechend zu Komplikationen bzw. Nachteilen führen. Im Hinblick auf chirurgische Komplikationen kann es zu Nervverletzungen, Sinusitiden oder auch Blutungen kommen, weiterhin zu ästhetischen Problemen z.B. infolge einer Resorption der buccalen Knochenlamelle und nicht zuletzt zu prothetischen Komplikationen, wie im Extremfall einer nicht möglichen Anfertigung des geplanten Zahnersatzes.

So zeigt sich insbesondere bei zunehmend komplexen implantatprothetischen Versorgungen die Limitation eines nicht geführten, d.h. „freihändigen“ Implantationsprotokolls. Mit der Einführung dreidimensionaler Röntgenverfahren (CT, DVT) wurde es in der Zahnheilkunde unter Verwendung softwarebasierter Planungsprogramme ermöglicht, diesen Nachteilen im Sinne geführter Vorgehen bei der Implantatinsertion zu begegnen und somit die gewünschten Implantatpositionen zu realisieren.

Dabei werden zum einen im Rahmen statischer Planungsverfahren vor der Implantation die Implantatpositionen virtuell festgelegt und mithilfe von z.B. stereolithografisch hergestellter Schablonen mit Führungshülsen im Zuge der Implantation die Position und Angulation des oder der Implantate umgesetzt. Sofern möglich sollten solche Schablonen dental abgestützt sein, um eine entsprechende negative Kinetik der Schablone zu vermeiden, wobei bei zahnlosem Kiefer die Möglichkeit der Fixierung mittels Minischrauben gewählt werden sollte.

Darüber hinaus besteht jedoch zum anderen die Möglichkeit, unter Verwendung dynamisch arbeitender Systeme, die Ausrichtung des rotierenden Instruments bzw. des Implantatkörpers realtime zu sehen und somit in Echtzeit relevante Parameter wie Position und Angulation zu kontrollieren. Beide Varianten haben jeweils Vorteile, wobei stets eine möglichst geringe Abweichung zwischen der gewünschten und klinisch realisierten Implantatposition das Ziel sein sollte.

Zur Evaluation der Präzision solcher Systeme wurden bereits zahlreiche Untersuchungen durchgeführt und entsprechend die navigierten Implantationsverfahren auch zunehmend optimiert. Es stellt sich die Frage nach der Präzision von sowohl ungeführten Implantationen als auch statisch und dynamisch arbeitenden Systemen mit Aufzeigen ihrer systeminhärenten Vor- und Nachteile.

Aktuelle Studien

Jorba-García A, Bara-Casaus JJ, Camps-Font O, Sánchez-Garcés MÁ, Figueiredo R, Valmaseda-Castellón E
Genauigkeit dentaler Implantationen mit und ohne Verwendung dynamischer Navigationssysteme: Eine randomisierte klinische Untersuchung
Accuracy of dental implant placement with or without the use of a dynamic navigation assisted system: A randomized clinical trial Clin Oral Implants Res. 2023 Feb 16. doi: 10.1111/clr.14050. Online ahead of print

Studientyp: Randomisierte klinische Untersuchung

Studienpopulation: Es wurden bei 30 Patienten Einzelzahnimplantate inseriert, wobei letztendlich 29 in die Auswertung einbezogen wurden.

Wesentliche Beurteilungskriterien: Lineare Abweichungen im Bereich der Implantatplattform und des Implantatapex und Abweichungen der Angulation zwischen geplanter und finaler Implantatposition.

Wesentliche Ergebnisse: Die Abweichungen betrugen im Hinblick auf die Implantatplattform insgesamt (1,12 mm ± 0,38 mm dynamisch; 1,70 mm ± 0,69 mm nicht geführt), den Implantatapex insgesamt (1,42 mm ± 0,52 dynamisch; 2,49 mm ± 1,43 mm nicht geführt) und die Angulation (4,02° dynamisch; 7,97° nicht geführt) waren signifikant unterschiedlich.

Schlussfolgerung: Die Untersuchung zeigt die signifikant exaktere Positionierung im Zuge der dynamisch-navigierten gegenüber der nicht geführten, d.h. „freihändigen“ Navigation, wobei die dynamisch-navigierte Implantation mit einem deutlich erhöhten Zeitaufwand einherging.

Bewertung: Die Konzeption der Studie mit hochwertigem Studiendesign beantwortet mit den ermittelten Ergebnissen eindeutig die Arbeitshypothese mit entsprechend höherer Präzision der dynamisch geführten Arbeitsweise, wobei jedoch nicht die Behandlungsoption der statisch-navigierten Implantation berücksichtigt wurde.


Yotpibulwong T, Arunjaroensuk S, Kaboosaya B, Sinpitaksakul P, Arksornnukit M, Mattheos N, Pimkhaokham A
Genauigkeit einer statisch und dynamisch kombinierten computergestützten Implantatchirurgie bei Einzelzahnlücken
Accuracy of implant placement with a combined use of static and dynamic computer-assisted implant surgery in single tooth space: A randomized controlled trial.

Clin Oral Implants Res. 2023 Feb 8. doi: 10.1111/clr.14043. Online ahead of print

Studientyp: Randomisiert kontrollierte klinische Untersuchung

Patientenkollektiv: Es wurden 120 Patienten zur Versorgung mittels Einzelzahnimplantat randomisiert auf 4 Gruppen verteilt (1. statisch-dynamische, 2. statische, 3. dynamische und 4. nicht geführte Navigation)

Zielparameter: Ermittlung der Differenz zwischen geplanter und finaler Implantatposition

Wesentliche Ergebnisse: Die Abweichungen zwischen den Gruppen waren signifikant und betrugen im Bereich der Implantatplattform 0,62 mm ± 0,50 mm (1), 1,06 mm ± 0,67 mm (2), 1,02 mm ± 0,45 mm (3) und 1,48 ± 0,68 mm (4), im Bereich des Implantatapex 0,75 mm  ± 0.57 mm (1), 1,40 mm ± 0,71 mm (2), 1,28 ± 0,50 mm (3) und 2,18 mm ± 0,95 mm (4) und Winkelabweichungen 1,24° ± 1,41° (1), 3,18° ±2,04° (2), 3,28° ± 1,57° (3) und 7,5° ± 4,06° (4).

Schlussfolgerung: Bei Verwendung der statisch-dynamisch geführten Implantation ergaben sich die geringsten Abweichungen zwischen der geplanten und der finalen Implantatposition.

Bewertung: Die Untersuchung berücksichtigt durch das Gruppendesign sämtliche Verfahren im Bereich der dentalen Implantation, sodass ein umfassender Überblick gegeben wird, und sie beantwortet anschaulich die Fragestellungen auf Basis eines hochwertigen Studienprotokolls. Ein Hinweis auf die durchschnittliche Dauer des jeweiligen chirurgischen Verfahrens wäre wünschenswert. Auch zu bedenken ist, dass es sich hierbei um implantatgetragene Einzelzahnversorgungen handelt, d.h., dass eine dentale Schablonenabstützung und suffiziente Referenzstrukturen für das Matching, also für die Überlagerung von Datensätzen, vorhanden sind. Da diese und die vorhergehende Untersuchung die Präzision im Zuge von Einzelzahnversorgungen behandelt, stellt sich entsprechend die Frage nach der Genauigkeit bei Vorliegen zahnloser Kiefer.


Jaemsuwan S, Arunjaroensuk S, Kaboosaya B, Subbalekha K, Mattheos N, Pimkhaokham A
Vergleich der Genauigkeit von Implantatpositionen bei freihändiger, statisch und dynamischer computergestützter Implantatchirurgie bei vollständig zahnlosen Patienten: eine nicht randomisierte prospektive Untersuchung
Comparison of the accuracy of implant position among freehand implant placement, static and dynamic computer-assisted implant surgery in fully edentulous patients: a non-randomized prospective study

Int J Oral Maxillofac Surg. 2023 Feb; 52 (2): 264–271. doi: 10.1016/j.ijom.2022.05.009. Epub 2022 Jun 23

Studientyp: Nicht randomisierte prospektive Untersuchung

Patientenkollektiv: Es wurden 13 Patienten 60 Implantate mittels freihändiger Implantationstechnik (1), statisch (2) und dynamisch (3) geführtem Implantationsprotokoll bei zahnlosem Kiefer inseriert.

Zielparameter: Ermittlung der Differenz zwischen geplanter und finaler Implantatposition

Wesentliche Ergebnisse: Abweichungen im Bereich der Implantatplattform: 3,48 mm ± 2 mm (1), 1,40 mm ± 0,72 mm (2), 1,73 mm ± 0,43 mm (3)

Abweichungen im Bereich der Implantatapex: 3,60 mm ± 2,11 mm (1), 1,66 mm ± 0,61 mm (2), 1,86 mm ± 0,82 mm (3)

Winkelabweichungen: 10,09°  ± 4,64° (1), 4,98°  ± 2,16° (2), 5,75°  ± 2,09° (3), 10,09° ± 4,64° (1), 4,98° ± 2,16° (2), 5,75° ± 2,09° (3)

Die Abweichungen zwischen statisch und dynamisch computergestütztem Vorgehen waren nicht signifikant. Computergestützt (statisch und dynamisch) waren die Abweichungen signifikant am geringsten.

Schlussfolgerung: Auch bei dieser Untersuchung waren die statisch und dynamisch computergestützten Implantationsverfahren bei zahnlosen Kiefer exakter im Vergleich zur konventionellen freihändigen Methode, wobei jedoch zwischen den computergestützten Implantationsprotokollen kein Unterschied festzustellen war.

Bewertung: Obwohl die Aussagekraft wegen fehlender Randomisierung reduziert ist, zeichnet sich die Arbeit durch den höheren Aufwand, der im Zuge der Behandlung zahnloser Kiefer entsteht, aus. Positiv ist hervorzuheben, dass bei den computergestützten Verfahren Miniimplantate zur Lagesicherung der Schablonen verwendet wurden. Dass die Schleimhautsituation erst nach konventioneller Abformung und anschließender Digitalisierung und nicht über intraorales Scannen in den digitalen Workflow integriert wurde, lässt zumindest Freiraum für Diskussionen.


Dioguardi M, Spirito F, Quarta C, Sovereto D, Basile E, Ballini A, Caloro GA, Troiano G, Lo Muzio L, Mastrangelo F
Geführte Implantation dentaler Implantate: Eine systematische Übersichtsarbeit
Guided Dental Implant Surgery: Systematic Review

C J Clin Med. 2023 Feb 13; 12 (4): 1490. doi: 10.3390/jcm12041490

Studientyp: Review

Literatur: Aus diversen Literaturdatenbanken wurden nach Identifikation zahlreicher Untersuchungen schlussendlich 9 Artikel für das Review inkludiert.

Zielparameter: Überlebensraten, frühe und späte Verlustraten, periimplantäre Knochenregeneration, implantatprothetische Komplikationen im Hinblick auf die Implantatposition unter Verwendung von digital unterstützten Implantationsprotokollen

Wesentliche Ergebnisse und Schlussfolgerung: Die Übersichtsarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass die inkludierten Studien aufgezählt und entsprechend diskutiert werden. Neben der Aufführung zahlreicher Informationen ist davon auszugehen, dass eine hohe Überlebensrate mit einer idealen Implantatposition und entsprechend mit der Verwendung geführter Implantatchirurgie zusammenhängt.

Bewertung: Die Untersuchung zeichnet sich durch die Aufführung zahlreicher Informationen aus, wobei dies jedoch mit einer reduzierten Übersichtlichkeit beim Lesen des Artikels einhergeht. Die Schlussfolgerung verbleibt sinngemäß mit der Aussage, dass sich computergestützt geführte Implantationsprotokolle positiv auf die Implantatüberlebensrate auswirken, wobei jedoch die übersichtliche Darstellung konkreter Zusammenhänge zwischen Abweichung einer idealen Zielposition und den entsprechenden klinischen Folgen fehlt.

Conclusio

Die derzeitige Publikationslage erlaubt eine umfassende Beurteilung der behandelten Thematik und hebt sehr deutlich die Vorteile der geführten Implantationsprotokolle im Vergleich zum „freihändigen“ Vorgehen im Hinblick auf die Präzision hervor. Es zeigt sich, dass sowohl statisch und dynamisch geführte Implantationsverfahren zu einer signifikant exakteren Positionierung des jeweiligen Implantatkörpers führen, wobei sich zwischen diesen Verfahren kein wesentlicher Unterschied zeigt.

Verfahrensbedingt zeichnet sich die dynamische Navigation im Vergleich zur statisch geführten Navigation, bei der durch die Schienenanfertigung im Vorfeld ein schnellerer Arbeitsablauf ergibt, durch eine längere OP-Dauer aus. Interessant scheint die Erkenntnis, dass eine Kombination der statisch und dynamisch geführten Implantation zu einer noch höheren Präzision zu führt.

Bei den computergestützt-navigierten Verfahren scheint die Präzision mit dem Vorhandensein von Zähnen zusammenzuhängen, d.h., bei dentaler Abstützung von Schienen oder Referenzmarkern erhöht sich die Präzision, weshalb bei der geführten Implantation im Rahmen der Versorgung zahnloser Kiefer Miniimplantate z.B. zur Fixierung der Bohrschablone verwendet werden sollten. Diese Möglichkeit der Erzielung einer höheren Präzision bei der Implantattherapie erfordert jedoch einen erhöhten Austattungs-, Material- und Zeitaufwand, was die Therapie wirtschaftlich aufwendiger werden lässt.

Vor dem Hintergrund der Einschätzung des Komplexitätsgrades der jeweiligen Implantattherapie obliegt es der Operateurin oder dem Operateur zu prüfen, inwieweit die Verwendung moderner geführter Verfahren zur Erzielung der idealen Implantatposition erforderlich sind.

Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Leitender Oberarzt und stellv. Klinikdirektor; Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie − Plastische Operationen − der Universitätsmedizin Mainz

peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de

Prof. Dr. Karl M. Lehmann, M.Sc.

Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde der Universitätsmedizin Mainz

karl.lehmann@unimedizin-mainz.de


(Stand: 02.06.2023)

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