Zusammenfassung: Die langfristig erfolgreiche, funktionell und ästhetisch ansprechende Versorgung unserer Patienten ist eine interdisziplinäre Herausforderung. Die erfolgreiche endodontische Therapie ist sowohl von zahnspezifischen als auch systemischen Befunden abhängig.
Schlüsselwörter: Endodontie; Implantologie; Zahnerhalt; endodontische Maßnahmen; dentale Implantate; Periimplantitis
Zitierweise: Herbst S, Gernhardt CR: Endodontie und Implantologie. Z Zahnärztl Implantol 2023; 39: 094–100
DOI.org/10.53180/ZZI.2023.0094-0100
Einleitung
Das Ziel zahnärztlichen Handelns sollte in der täglichen Praxis unabhängig von der jeweiligen fachlichen Ausrichtung immer auf das Wohl unserer Patientinnen und Patienten ausgerichtet werden, wobei zahnmedizinische Befunde und Therapieoptionen sowie Patientenwunsch in Einklang zu bringen sind. In allen Fällen steht neben den präventiven Aspekten, die exakte Diagnostik und adäquate Therapie sämtlicher Erkrankungen des Zahn-, Mund- und Kieferbereichs unter Berücksichtigung des geltenden medizinischen Standards im Mittelpunkt.
Aufgrund der mittlerweile zunehmenden Komplexität der einzelnen Themenfelder der Zahnheilkunde ist ein funktionierender interdisziplinärer Austausch für die bestmögliche Versorgung unserer Patientinnen und Patienten nahezu unumgänglich. Gerade wenn es um die Frage des Zahnerhalts oder der implantologischen Wiederherstellung eines fehlenden Zahns geht, kann das zielgerichtete interdisziplinäre Zusammenspiel von zahnerhaltenden und zahnersetzenden Maßnahmen für die erfolgreiche Behandlung von Patienten hilfreich und nützlich sein. In der Zahnmedizin bestehen seit vielen Jahrzehnten immer wieder verschiedene Interpretationen des wissenschaftlichen Standards. Es existieren unterschiedliche Lehrmeinungen und Therapieansätze zu den jeweils aktuellen und alltäglichen Herausforderungen, mit denen Behandler in verschiedenen Behandlungssituationen täglich konfrontiert sind.
In diesem Artikel liegt der Fokus auf der Frage, welche Möglichkeiten und Prognosen der Zahnerhalt durch Endodontie ermöglicht. Darüber hinaus sollen die Grenzen des Zahnerhalts durch endodontische Maßnahmen aufgezeigt und Lösungsvorschläge für die tägliche Praxis an die Hand gegeben werden. Die Entscheidung für oder gegen den Zahnerhalt stellt dabei die zentrale Herausforderung bei der gesamten klinischen Planung dar.
In beiden Disziplinen, Endodontologie und Implantologie, sind in den letzten Jahrzehnten sowohl wissenschaftlich als auch nachfolgend klinisch enorme Fortschritte gelungen [16, 19, 31, 33]. Daher sind heute beide Therapieoptionen in Indikationsbereichen und Situationen möglich, in denen eine erfolgreiche Therapie vor einigen Jahren nicht durchführbar gewesen wäre [31].
In der Implantologie liegen mittlerweile viele Langzeituntersuchungen mit teils sehr langen Beobachtungszeiträumen vor, die der Versorgung mit dentalen Implantaten in den verschiedensten Indikationsbereichen eine sehr hohe Erfolgssicherheit bescheinigen [10]. Allerdings sind dentale Implantate trotz dieser hohen Erfolgsaussichten nicht frei von Komplikationen. Neben allgemein medizinischen, chirurgischen und prothetischen Komplikationen sind vor allem langfristig auftretende Komplikationen, die den Implantatverlust bedingen können, heute nicht mehr zu vernachlässigen. Die Periimplantitis ist eine der Komplikationen, die mit der zunehmenden Anzahl der Implantate und der mittlerweile teils sehr langen Verweildauer in der Zukunft durchaus zunehmen könnte oder zumindest berücksichtigt werden sollte [13, 21]. Dass die Destruktion des periimplantären Gewebes kein Einzelfall ist, zeigen zahlreiche Untersuchungen aus diesem Bereich [12, 25]. Aus diesem Grund sollten indikationsgerechte zahnerhaltende Maßnahmen grundsätzlich erwogen werden.
Eine am aktuellen Wissensstand orientierte Endodontie kann den Zahnverlust heute langfristig vermeiden und hat ebenfalls eine hohe Erfolgssicherheit, die den Erfolgsaussichten der Implantologie ebenbürtig ist [5, 15]. Ein weiterer Punkt, der beide Disziplinen verbindet, ist der immer wieder beschriebene Einfluss eventueller endodontischer Probleme auf benachbarte Implantate [7, 23]. Die konstruktive Diskussion zwischen Zahnerhalt und Zahnersatz mittels Implantaten ist daher verständlich und Kenntnisse sollten ausgetauscht und gemeinsame Lösungsansätze etabliert werden [8].
Daher ist das Ziel des vorliegenden Artikels, einerseits eine praxisbezogene Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen des endodontischen Zahnerhalts zu führen und andererseits eine Orientierung zu geben, welche Entscheidungshilfen am Ende genutzt werden können. Inwiefern patientenspezifische bzw. allgemeinmedizinische Faktoren einen Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben können, soll erörtert werden. Außerdem soll besprochen werden, welche Maßnahmen nach aktuellem Stand der Wissenschaft eine hohe Erfolgssicherheit ermöglichen und letztlich auch die höchste Kosteneffektivität aufweisen. Ob und inwiefern die Entscheidungsfindung in Zukunft durch Fortschritte in der künstlichen Intelligenz (KI) beeinflusst werden kann, soll darüber hinaus kurz erläutert werden.
Dabei geht es nicht darum, die Überlegenheit der einen oder anderen Therapie zu beschreiben, sondern die richtige Indikation für zahnerhaltend-endodontische oder auch implantologische Maßnahmen zu definieren. Basis dieser Therapieentscheidung sollte eine möglichst verlässliche Voraussage der zu erzielenden Ergebnisse für den Patienten sein. Abbildung 1 zeigt einen Überblick über beeinflussende Faktoren bei der Therapieentscheidung.
Allgemeinmedizinische Aspekte
Gerade unter Berücksichtigung des demografischen Wandels in Kombination mit den Erfolgen der zahnmedizinischen Versorgung der letzten Jahrzehnte ist anzunehmen, dass der Anteil der Patientinnen und Patienten, die von den modernen zahnärztlichen Möglichkeiten profitieren wollen, aber durch allgemeinmedizinische Komorbiditäten belastet sind, zunehmen wird.
Besonders in der Implantologie wissen wir, dass die allgemeinmedizinischen Faktoren ein grundlegender Erfolgsparameter für den Erfolg dentaler Implantate sind. So werden schwerwiegende kardiologische und metabolische Erkrankungen sowie Nikotinabusus, vorausgegangene oder vorhandene parodontale Grunderkrankungen, nicht oder schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Radiochemotherapie und die Gabe von Antiresorptiva für den Implantatmisserfolg in Erwägung gezogen [9, 14, 26, 34]. Gerade die chirurgischen Interventionen beginnend mit der Extraktion bis hin zur Implantation sind hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit und des zu erwartenden Erfolgs deutlich abhängiger von der allgemeinmedizinischen Anamnese der betroffenen Patienten. Diese kann bisweilen eine chirurgische Intervention risikoreicher, schwieriger und ggf. sogar unmöglich machen.
Dagegen ist die orthograde endodontische Therapie in der Regel weniger von der allgemeinmedizinischen Situation des Patienten eingeschränkt. Der Erfolg ist in diesen Fällen unter Umständen schwieriger zu realisieren, jedoch sind die zu erwartenden Nebenwirkungen kleiner (Nachblutung, Entzündungen, Nekrosen, Wundheilungsstörungen u.a.). Selbstverständlich unterliegt der Erfolg endodontischer Maßnahmen, z.B. die vollständige Ausheilung apikaler Befunde, auch der allgemeinen Heilungsmöglichkeit und -bereitschaft der betroffenen Patienten. Allerdings kann die Größe dieses Einflusses aktuell nicht abschließend beurteilt werden [29, 30].
Generell sollte eine zahnmedizinische Therapie auf die allgemeinmedizinische Situation des Patienten abgestimmt sein. Dabei gibt die Klassifikation der American Society of Anaestesiologists (ASA) einen Überblick bezüglich des Allgemeinzustands des Patienten [2, 3, 18].
In einigen Situationen sollte bei Gleichwertigkeit der Optionen explizit ein konservatives Vorgehen einer chirurgischen Therapie vorgezogen werden. Dabei spielen die endodontische und parodontale Situation gleichermaßen eine wichtige Rolle. Eine solche Situation liegt z.B. bei Patienten unter bestehender intravenöser Bisphosphonattherapie vor.
Muss eine Zahnsanierung vor Strahlen-, Chemo- oder Bisphosphonattherapie erfolgen, sollten apikale Befunde kritisch bewertet und nur Zähne mit einer sicheren restaurativen und endodontischen Prognose erhalten werden, da das Risiko der Exazerbation unter der nachfolgenden systemischen Therapie mit dem potenziellen Nutzen abgewogen werden muss. In einigen Fällen ist die Behandlung nur unter antibiotischer Abschirmung durchzuführen [22].
Gerade beim Vorliegen mehrerer oder schwerer Komorbiditäten ist der Zahnerhalt durch endodontische Maßnahmen in vielen Fällen in der Lage, die chirurgische Intervention zu vermeiden, damit möglicherweise schwerwiegende Komplikationen vermieden werden können.
Grundprinzipien der Therapieplanung
In einem prothetischen Gesamtkonzept muss die Pfeilerwertigkeit des Zahns nach der zahnerhaltenden Therapie vorab eingeschätzt werden können. Vielfach stellen sich die zu planenden Patientensituationen komplex dar und erfordern jeweils eine zahnbezogene Einschätzung (Abb. 2). Dementsprechend empfiehlt es sich grundsätzlich, bei einem fraglichen Zahn die erneuerungsbedürftige Restauration zu entfernen, damit die weitere Restaurierbarkeit abgeschätzt und die endodontische bzw. endochirurgische Therapie unter einer bakteriendichten Restauration durchgeführt werden kann. Die Abbildung 3 zeigt einen Fall, bei dem eine Wurzelspitzenresektion ohne Erneuerung der koronalen Restauration durchgeführt wurde, wodurch die Prognose reduziert ist.
Zusammengefasst stellen eine vollständige Wurzellängsfraktur, eine zirkuläre Verletzung der biologischen Breite ohne Möglichkeit der Wiederherstellung, ein ausgedehnter Zahnhartsubstanzverlust (durchgängige Unterschreitung der koronalen Restzahnhartsubstanz („Ferrule-Effekt“) von < 2 mm) sowie eine austherapierte und rekurrierend-exazerbierende Parodontitis eine absolute Indikation zur Zahnentfernung dar. Sollten die aufgeführten Punkte nicht vorliegen, kann von einer Erhaltungswürdigkeit des Zahns a priori ausgegangen werden (Tab. 1).
Gruppe | Definition | Zahnbezogene Faktoren | Parodontale Faktoren | Endodontische Faktoren |
Gruppe 1: Der sichere Zahn | Zähne mit einer hohen Erfolgssicherheit ohne nennenswerten Behandlungsbedarf | Alle Zähne, die nicht als zweifelhaft oder als nicht behandelbar eingestuft werden | Alle Zähne, die nicht als zweifelhaft oder als nicht behandelbar eingestuft werden | Alle Zähne, die nicht als zweifelhaft oder als nicht behandelbar eingestuft werden, und alle Zähne mit einer intakten Wurzelkanalanatomie, mit oder ohne Symptome. Zähne mit initialem endodontischen Behandlungsbedarf |
Gruppe 2: Der zweifelhafte Zahn | Zähne, die aufwendigere Behandlungen mit teils unsicherer Prognose benötigen. Der Erfolg der Behandlung ist unsicher. | Massiver Zahnhartsubstanzverlust, der eine sichere Versorgung (Ferrule-Effekt) erschwert. Ausgeprägte kariöse Läsion bis in den Wurzelbereich. Massive Schädigung durch große, vorangegangene Restaurationen (Kronen, Stifte etc.) | Zähne mit massiven Attachmentverlust im Bereich von > 50 % bei einem 50-jährigen Patienten. Mehrwurzlige Zähne mit Furkationsbefall (Grad III). Zähne mit ausgeprägten vertikalen Knochendefekten. | Zähne mit großen apikalen Befunden. Zähne mit einer schwierigen oder durch Vorbehandlungen veränderten Wurzelkanalanatomie, die schwer zu behandeln ist. Perforationen. Zähne, die endo-chirurgische Maßnahmen erfordern. |
Gruppe 3: Der nicht behandelbare Zahn | Hoffnungslose Zähne, die extrahiert werden müssen. | Zähne mit kariösen Läsionen bis in den Wurzelkanal- oder Furkationsbereich. | Zähne mit ausgeprägtem Attachmentverlust bis in den apikalen Bereich. Zähne mit parodontalen Abszessen, Zähne mit ausgeprägten paro-endo Läsionen. | Zähne mit Längsfrakturen. Zähne mit horizontalen Wurzelfrakturen im mittleren und apikalen Drittel der Wurzel (CAVE: Gilt nicht für Frontzahntraumata). Zähne, die nach orthograder oder chirurgischer Revision keine Ausheilungstendenz zeigen und als erfolglos eingestuft werden müssen. |
Tab. 1: Übersicht über die wichtigsten Betrachtungen zur präendodontischen Beurteilung des betroffenen Zahns. Modifiziert nach Pjetursson und Heimisdottir [27]. |
Die grundsätzliche Möglichkeit zum Zahnerhalt muss jedoch nicht zwingend zur Umsetzung führen. Sollte ein Zahnerhalt z.B. durch eine Wurzelamputation möglich sein und der Zahn ist jedoch als Brückenelement geplant, sollte die reduzierte Belastbarkeit in der Planung berücksichtigt werden. Dies kann dazu führen, dass ein per definitionem erhaltungswürdiger Zahn im Gesamtkonzept nicht sinnvoll erhalten bleiben kann.
Parodontologische Faktoren in der Therapieplanung
Zwischen dem Endodont und dem Parodont bestehen sowohl enge anatomische als auch funktionelle Zusammenhänge. Dementsprechend muss unabhängig vom Schweregrad der Parodontitis für ein bestmögliches Therapieergebnis der endodontische Status aller Zähne überprüft und eine vorliegende endodontische Pathologie behandelt werden, bevor eine Parodontaltherapie durchgeführt werden kann.
Sonderfälle stellen endo-parodontale Läsionen dar, bei denen in der Regel 3 Klassen unterschieden werden [4, 6]. Klasse I bezeichnet die primär endodontale Läsion, bei der eine nach krestal extendierte apikale Läsion zu einem typischerweise j-förmigen Knochenabbau führt. In diesem Falle ist eine endodontische Therapie indiziert.
Bei der primär parodontalen Läsion (Klasse II) liegt ein Knochenabbau bis zum Apex des betroffenen Zahns vor, der eine retrograde Infektion des Endodonts verursachen kann, die nicht zwangsläufig zu einer behandlungsbedürftigen Pulpaerkrankung führen muss. In dieser Situation sollte vorerst eine parodontale Behandlung ohne endodontische Intervention erfolgen.
Liegt sowohl eine parodontale als auch eine endodontale Läsion vor, handelt es sich um eine kombinierte Endo-Paro-Läsion (Klasse III). In diesem Fall wird zuerst eine endodontische Therapie durchgeführt und eine parodontale Therapie bei ausbleibendem Behandlungserfolg erwogen.
Bei einer vorzeitigen Entfernung von Zähnen bei vorliegender Läsion der Klasse I-III kann es zu einer ungünstigen Defektmorphologie führen, die eine spätere Implantatinsertion erschwert und nur in Kombination mit komplexen Augmentationen erfolgreich durchgeführt werden kann. Daher sollte eine entsprechend beschriebene Therapie zunächst versucht werden.
Endodontologische Faktoren in der Therapieplanung
Zahlreiche endodontische Faktoren können einerseits eine erfolgreiche Wurzelkanalbehandlung ermöglichen, aber andererseits auch signifikant erschweren bzw. gar unmöglich werden lassen. Relative Indikationen zur Zahnentfernung betreffen vielfach den Komplexitätsgrad einer Wurzelkanalbehandlung, der auch mit finanziellen Erwägungen einhergeht.
Generell weisen Wurzelkanalbehandlungen unterschiedliche Komplexitätsgrade auf, weshalb verschiedene Arbeitsgruppen [27] und internationale endodontische Fachgesellschaften (z.B. American Association of Endodontists, Canadian Acedemy of Endodontics) Faktoren identifiziert haben, die eine Einteilung in verschiedene Komplexitätsgrade erlauben [1, 11].
Auf Basis dieser Erkenntnisse wurden Formulare entworfen, die klinische als auch röntgenologische Befunde abfragen, anschließend die Befundergebnisse gewichten und final dem Fall einen Komplexitätsgrad zuordnen (meist „einfacher“, „moderater“ oder „hoher“ Schwierigkeitsgrad). Diese Informationen lassen sich in nahezu jedem Praxissetting durch eine klinische Befunderhebung und eine zweidimensionale röntgenologische Bildgebung ermitteln und erfordern in der Regel keine spezielle fachspezifische Ausstattung.
Zu den genannten Komplexitätserfassungsbögen existiert zudem ein Online-Tool, das mit Förderung der European Society of Endodontics (ESE) entwickelt wurde. Unter der Internet-Adresse www.e-cat.uk kann das Tool aufgerufen und kostenfrei genutzt werden. Nach Aussage der Entwickler sind die Vorteile dabei, dass eine kontinuierliche Adjustierung der einzelnen Risikofaktoren basierend auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgen kann und dass keine Formulare separat geführt werden müssen.
Auch von der American Association of Endodontists (AAE) existiert neben schriftlichen Frage- und Bewertungsbögen für endodontische Falleinschätzungen auch eine Applikation für Smartphones oder Tablets (Endo Case). Anhand von 20 Fragen ermöglichte diese die Einschätzung des endodontischen Schwierigkeitsgrades in Abhängigkeit der patientenbezogenen Faktoren.
Die Erhebung der Fallkomplexität kann dem Behandler unabhängig vom endodontischen Erfahrungsgrad eine erste Orientierung geben, inwiefern und mit welchem Aufwand ein Zahnerhalt möglich ist. Jedoch ist zu bedenken, dass daraus keine absolute Behandlervorauswahl abzuleiten ist, da eine gesicherte Datenlage dazu fehlt. Jedoch sollte eine kritische Auseinandersetzung mit dem Fall vor Behandlungsbeginn erfolgen und ggf. eine Überweisung an spezialisierte Kollegen erwogen werden. Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass mit steigender endodontischer Behandlererfahrung der Einfluss, der in den Formularen zur Komplexitätserfassung aufgeführten Risikofaktoren in Bezug auf einen technischen Misserfolg, abnimmt [32].
Sollten endodontische Komplikationen vorliegen, wie eine Perforation oder eine Instrumentenfraktur, kann eine Überweisung zu einem Behandler mit endodontischer Weiterbildung sinnvoll sein. Abbildung 4 zeigt Zahn 36 mit frakturiertem Instrument, der durch eine orthograde Revisionsbehandlung erhalten werden konnte. Eine Möglichkeit wäre, auf der Internetpräsenz der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und Traumatologie e.V. die Behandlersuche zu nutzen. So können mögliche Behandler im Umkreis identifiziert und kontaktiert werden.

© Herbst S.
Kosteneffizienz
Zur Bestimmung der Kosteneffizienz einer Behandlung wurden verschiedene Modellierungen verschiedener Szenarien unter definierten Annahmen bezüglich der Prognosen durchgeführt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine allgemeine Situation modelliert wird, die nicht zwingend mit einer in der Praxis vorliegenden höchst individuellen Situation deckungsgleich sein muss [28].
Aus einer aktuellen Übersichtsarbeit geht hervor, dass in der Regel zahnerhaltende Behandlungsstrategien generell als kosteneffektiver anzusehen sind als Implantatlösungen. Unter diesen Aspekten sollte nach Möglichkeit folgende Reihenfolge eingehalten werden: 1) erste endodontische Behandlung, 2) ggf. zweite endodontische Behandlung oder mikrochirurgische Wurzelspitzenresektion und 3) implantatgetragener Zahnersatz. Diese Reihenfolge ist deckungsgleich mit der aktuellen Leitlinie zur Wurzelspitzenresektion. Der Ersatz von Zähnen mit herausnehmbarem Zahnersatz stellt selbstverständlich immer eine Alternative dar.
Risiken und abschließende Betrachtungen
Implantationen tragen per se ein gewisses chirurgisches Risiko in sich. Aber auch endodontische Behandlungen sind nicht gänzlich frei von Risiken und Komplikationen. So sind Instrumentenfrakturen, Perforationen und Spülunfälle mit Natriumhypochlorit nicht immer zu vermeiden [17, 24, 35]. Auch systemische Wirkungen, der verwendeten Materialien und Lösungen sowie der entzündlich bedingten Bakteriämie sind nicht auszuschließen [30]. Beide Therapieoptionen tragen folglich ein gewisses Risiko in sich. Dies sollte in die Überlegungen miteinbezogen und mit der Anamnese abgeglichen werden. Tabelle 2 zeigt eine Zusammenfassung aller aufgeführten Punkte.
Faktor | + | − |
Allgemeinmedizinische Faktoren | Keine chirurgische Intervention | Heilung apikaler Läsionen von Immunleistung abhängig |
Weniger Einfluss der Anamnese auf Prognose | ||
Zahnentfernung stellt Risiko dar (z.B. Wundheilung). | ||
Therapieplanung | Streckung der Restaurationsspirale | Vorhandene Zahnhartsubstanz muss Verankerung gewährleisten. |
Physiologische Funktion des Zahns | ||
Parodontologische Faktoren | Prognose von dentalen Implantaten in Patienten mit Parodontitiserfahrung könnte reduziert sein. | Ausgeprägte kombinierte Paro-Endo-Läsionen (Klasse III) mit fragwürdiger Prognose |
Endodontologische Faktoren | Fortschritte in der Endodontie ermöglichen Zahnerhalt in komplexen Situationen (Perforationen, Instrumentenfrakturen etc.) | Persistierende apikale Läsionen nach 4 Jahren nach lege artis durchgeführter Behandlung |
Zweitmeinung durch spezialisierte Kolleg:innen | ||
Behandlungsaufwand | Abschätzbar durch Tools zur Risikoerfassung und -beurteilung | Erhöhter Behandlungsaufwand geht vielfach mit erhöhten Kosten einher. |
Kosteneffizienz | Zahnerhalt ist in den meisten Fällen am kosteneffizientesten im Vergleich zum Einzelzahnimplantat | |
Tab. 2: Zusammenfassung von relevanten Faktoren, die einen Einfluss auf die Entscheidung für (+) oder gegen (−) den Zahnerhalt haben |
Ausblick
Auch wenn die Kriterien für oder gegen den Zahnerhalt in der Theorie objektiv erscheinen, kann die Erhebung der jeweiligen Parameter zwischen den Untersuchern stark variieren und zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Daher werden zukünftig weitere Anstrengungen unternommen, um eine vereinfachte und möglichst objektive Fallplanung zu ermöglichen. Ein Ansatz dafür könnte die Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) sein [20]. Seit einigen Jahren wird daran geforscht, inwieweit die KI für die endodontische Behandlung unterstützend eingesetzt werden kann. Große Fortschritte konnten in den Bereichen der Objekterkennung auf Röntgenbildern erzielt werden, bei der z.B. koronale Restaurationen und apikale Pathologien erkannt werden können. Möglicherweise werden diese Techniken für die präoperative Behandlungsplanung anwendbar und eine Unterstützung in der Entscheidungsfindung sein.
Fazit
Das bestmögliche Therapieergebnis lässt sich durch eine intensive Zusammenarbeit der verschiedenen Fachdisziplinen ermöglichen. Für die Beurteilung der Situation und letztlich die Auswahl der geeigneten Vorgehensweise ist insbesondere die vertrauensvolle, unvoreingenommene Zusammenarbeit zwischen Implantologen und Endodontologen von großer Bedeutung. Beide Fachdisziplinen können auf große Fortschritte in den vergangenen Jahrzehnten zurückblicken.
Interessenkonflikte: Der Autor Dr. Sascha Herbst erhält Honorare für Vorträge in Unternehmen wie Septodont. Der Autor apl. Prof. Dr. Christian R. Gernhardt ist Mitglied mehrerer Vorstände, darunter der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt und der APW. Er erhält Honorare für Vorträge bei verschiedenen Fachgesellschaften (DGZMK, APW, DGET u.a), Zahnärztekammern und Industrieunternehmen (Kulzer, Voco, Camlog, Bego). Auch Drittmittelprojekte führt der Autor auf: mit dem Fraunhofer-Institut Würzburg, Voco, Komet, cp Gaba und Ivoclar Vivadent.
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