L. Tischendorf
Der Kongresspräsident Dr. Gerhard Iglhaut aus Memmingen als Fortbildungsreferent des DGI hatte zu einem Mammutkongress der fünf o. g. Gesellschaften nach Berlin eingeladen. 1400 Teilnehmer hörten in nur zwei Tagen 72 eingeladene Vorträge, 53 angemeldete Kurzbeiträge, sahen 14 Poster, konnten 15 Tischdemonstrationen verfolgen, erlebten drei Falldiskussionen unter der Moderation von Dr. Markus Schlee (Forchheim) aus deutscher (Prof. Dr. Jürgen Becker) österreichischer (Prof Dr. Georg Mailath-Pokorny) und schweizer Sicht (Dr. Ueli Grunder) und konnten in einer 20-minütigen Übersicht durch den Kongresspräsidenten das verfolgen, was bei den vielen Parallelveranstaltungen entgangen war. Dem diente auch die Möglichkeit, von 44 Vorträgen DVDs zu erwerben. Hinzu kamen 20 Beiträge in Industrieworkshops und eine sehr umfangreiche Industrieausstellung.
Die Problematik des Programms bestand darin, in nur 48 Stunden 256 Referenten und Moderatoren erleben und vielleicht noch das exklusive Rahmenprogramm (Festabend mit den Berliner Symphonikern!) genießen zu wollen. Die Organisatoren haben eine Ordnung in Foren versucht und zwar für Wissenschaft, Praxis und Wissenschaft, IAOFR, Implantatprothetik und Zahntechnik, Implantatforum der Industrie, Tischdemonstrationen. Die logistische Leistung der Organisatoren für das Mammutprojekt muss hoch gelobt werden.
Das Thema „Grenzen überwinden – gemeinsam handeln“ beinhaltete die Darstellung von Behandlungsmöglichkeiten und Ergebnissen der Implantologie einerseits und alternativer Vorgehensweisen andererseits. So diskutierten Prof. Dr. Andreas Filippi (Basel) und Prof. Dr. Christof Pertl (Graz) Möglichkeiten zur Therapie nach Zahntrauma: Zahnerhalt oder Implantation unter dem Blickwinkel moderner Erkenntnisse zur Rolle der Zementoblasten für das Überleben des traumatisierten Zahnes. Es kristallisierte sich eine altersbezogene Indikationsstellung heraus. Für im Kindesalter favorisierte Trans- und Replantationen waren das Für und Wider einer primären endodontischen Therapie, der Einsatz einer antiresorptiven regenerationsfördernden Therapie (Zahnrettungsbox, Emdogain) sowie Art und Dauer der Zahnfixation zu besprechen. Dr. David Sonntag (Marburg) und Dr. Wolf Richter (München) diskutierten Grenzfälle der endodontischen (konservativen und chirurgischen) Behandlung. Durch moderne mit Seh- und Beleuchtungshilfen unterstützte Vorgehensweisen gibt es zwar aufwendige, aber deutlich erweiterte Möglichkeiten endodontischer Therapieoptionen, was die Notwendigkeit von Implantatversorgungen im Gegensatz zu Einschätzungen von vor zehn Jahren reduziert. Grenzen werden bestimmt durch die Qualität der Zahnhartsubstanz. Dr. Rino Burkhardt (Zürich), Prof. Dr. Dr. Anton Sculean (Bern) und Prof. Dr. Reiner Mengel (Marburg) besprachen den langfristigen Zahnerhalt mittels Parodontaltherapie der Zähne einerseits und durch die Implantattherapie im parodontal geschädigten Gebiss andererseits. Die Erfolgschancen sind etwa gleich, so dass die frühere Anschauung, ein Implantat sei langlebiger als ein Zahn im parodontal geschädigten Gebiss, nicht aufrecht erhalten bleiben kann. Prof. Dr. Georg Jost-Brinkmann und Prof. Dr. Axel Bumann (beide Berlin) analysierten Möglichkeiten des kieferorthopädischen Zahnerhaltes parodontal geschädigter Zähne und die Zusammenarbeit von Kieferorthopädie und Implantologie unter verschiedenen Gesichtspunkten. Dr. Claude Andreoni (Zürich) und Prof. Dr. Matthias Kern (Kiel) stellten Vor- und Nachteile des prothetischen Lückenschlusses in der Oberkieferfront durch implantatgetragene Konstruktionen und Adhäsivbrücken vor. In allen Betrachtungen wurden Trendwandlungen mit einer Aufwertung alternativer Therapieoptionen gegenüber der Implantatversorgung deutlich, die aber von individuellen Anschauungen der Behandler geprägt sind.
Ein Sitzungsabschnitt war der implantologischen Versorgung bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen infolge von Polytrauma, Tumorfolgen, kraniofazialen Defekten und Alterseinflüssen gewidmet (Prof. Dr. Dr. Norbert Jakse, Graz; Dr. Gerolf Gehl, Frauenfeld; Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake, Göttingen; Prof. Dr. Gerhard Wahl, Bonn) ein begrüßenswertes Vorgehen, mit dem der Einfluss unterschiedlicher Ausgangssituationen auf das erreichbare Behandlungsziel hervorgehoben wurde (Zu diesem Thema siehe auch DGI Nachrichten, Seite 222). Weitere Abschnitte befassten sich mit Therapiemöglichkeiten bei der Periimplantitis (Prof. Dr. Andrea Mombelli, Genf; PD Dr. Frank Schwarz, Düsseldorf) und Grenzen der ästhetischen Implantologie (Prof. Dr. Martin Lorenzoni, Graz; Dr. Gerhard Iglhaut, Memmingen; Prof. Dr. Fouad Khoury, Olsberg und dabei herausragend Dr. Ueli Grunder, Zürich) zu den Grenzen aufwendiger Rekonstruktionen interimplantärer Papillen. Zu den Foren Implantatprothetik/Zahntechnik, Assistenz/Betreuung, zum Implantatforum und den Workshops der Industrie, den Tischdemonstrationen und zu Beiträgen der IAOFR kann keine Stellung bezogen werden aufgrund der Mitarbeit in der Tagungsjury. Mit dem Preis für Praktiker haben wir ausgezeichnet Dr. Andreas Röhrle aus Schwäbisch Gmünd (All-on-four mit Sofortbelastung – Erfahrungen aus der Praxis). In der Kategorie Wissenschaft waren bemerkenswerte klinische (randomisierte Studie zum Platformswitching von Dr. Dr. Norbert Enkling et al.) und präklinische Vorträge (Knochenersatzmaterial mittels Laser melting durch die Arbeitsgruppe um Dr. Dr. Ralf Smeets, Aachen) zu hören. Den Preis erhielt Dr. J. Park aus Erlangen zu „Vergleichende in-vivo-Untersuchungen der Knochenneubildung mit konvertierten osteogenen Effektorzellen aus Stammzellen des Fettgewebes und des Periostes“. Der Posterpreis (nur enttäuschende 14 Bewerber!) ging an Dr. Christian Mertens et al. (Heidelberg) zur retrospektiven 10-Jahres Erfolgsanalyse von Astra-Tech-Implantaten.
Nicht unerwähnt bleiben darf der Festvortrag des Publizisten Günter Höhne zu „Mauern und dem Zahn der Zeit“, der die widerspruchsvolle Sicht der Ostdeutschen auf den Vereinigungsprozess mit ungewöhnlichen und diskutierenswerten Ansichten reflektierte.
Es war ein großer Event der Implantologie für Deutschland, die Schweiz und Österreich. Es vermittelte eine Einordnung der Implantologie in das ganzheitliche Betreuungskonzept der Zahnversorgung. Aufgrund der Überfülle von Parallelveranstaltungen war der Kongress aber in seiner Gesamtheit kaum verfolgbar. Offenbar täten dem Konzept für Gemeinschaftskongresse größere Abstände und eine Beschränkung der Thematik gut.
L. Tischendorf, Halle/Saale