Zygomaimplantate: Rehabilitation atropher Oberkiefer

Welche Faktoren beeinflussen den finalen Erfolg?

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Schlüsselwörter: Brånemark Jochbeinimplantate Zygomaimplantate atropher Oberkiefer

Einleitung

Die Insertion langer zahnärztlicher Implantate – also von Zygomaimplantaten – in den Jochbeinknochen zur Bereitstellung einer posterioren Abstützung bei Patienten ohne Oberkieferknochenvolumen wurde 1988 erstmals eingeführt. Das anfängliche chirurgische Protokoll folgte den Prinzipien der verzögerten Belastung, worauf später ebenso eine erfolgreiche Sofortversorgung beschrieben und angewandt wurde. Die von Brånemark propagierte ursprüngliche Operationstechnik führte zu einer bikortikalen Stabilisierung der Implantatplattform an dem Alveolarfortsatz des Oberkiefers und einer zusätzlichen bikortikalen Stabilisierung des apikalen Teils des Implantats im Körper des Jochbeins.

Im Laufe der Jahre wurden mehrere Modifikationen der ursprünglichen Operationstechnik vorgeschlagen, da einige Autoren eine ungünstige palatinale Emergenz der Implantate sowie Infektionen im Kieferhöhlenbereich beobachteten. 2010 wurde der „Zygomaanatomie geführte Zugang“ (ZAGA) auf der Grundlage einer Querschnittsstudie an 200 humanen radiologischen Datensätzen beschrieben. Dieser Ansatz wurde ursprünglich eingeführt, um die Insertionstechniken für verschiedene anatomische Situationen von der flachen Oberkieferwand bis hin zum konkaven oder atrophen Oberkiefer zu erleichtern.

Durch die Befolgung spezifischer prothetischer, biomechanischer und anatomischer Faktoren hängt die Festlegung des Eintrittspunkts des Zygomaimplantats somit von der vertikalen und horizontalen Resorption des Alveolarfortsatzes und der Krümmung der vorderen Oberkieferwand ab.

Im Rahmen der vorliegenden internationalen Neuigkeiten möchten wir zum einen die biomechanischen Prinzipien der atropher Oberkiefer für den Fall eines intakten und den Fall eines defekten Oberkiefers und zum anderen den Einfluss unterschiedlicher Insertionstechniken von Zygomaimplantaten auf den finalen Erfolg hin anhand der aktuellen Literatur beleuchten.

Aktuelle Studien

Rathod DK, Chakravarthy C, Suryadevara SS, Patil RS, Wagdargi SS.
Spannungsverteilung der Jochbein­implantate im Fall einer Post-Mukormykose: Eine Finite-Elemente-Analyse
Stress distribution of the zygomatic implants in post‑mucormycosis case: a finite element analysis. Journal of Maxillofacial and Oral Surgery. 2023 Apr 9; 1–7. Online ahead of print

Art der Studie: Finite-Element-Analyse

Fragestellung: Ziel dieser Studie war es, die Spannungsverteilung bei Zygomaimplantaten bei Maxillektomiefällen zu beurteilen und die Langzeitprognose dieser Rehabilitationsoption mithilfe der Finite-Elemente-Analyse zu verstehen.

Materialien und Methoden: Anhand des CT-Datensatzes eines Patienten nach Maxillektomie wurde ein dreidimensionales Finite-Elemente-Modell entworfen. Vier Zygomaimplantate wurden im Eckzahn- und Prämolarenbereich inseriert und auf diesen virtuell eine an Multiunit-Abutments stabilisierte Prothese befestigt. Auf die Zygomaimplantate über die Prothese wurden an 6 verschiedenen Stellen bilateral auf der Prothese Kräfte ausgeübt (50–600 N) und die maximale Spannungsverteilung bei verschiedenen Belastungen aufgezeichnet.

Ergebnisse: Die maximale Belastung wurde in den Modellen am distalen Kopf der Implantate und an der Implantatspitze eine minimale Spannung beobachtet.

Zusammenfassung und Bewertung: Daraus lässt sich schließen, dass der Alveolarknochen des Oberkiefers wesentlich für die gleichmäßige Spannungsverteilung im Knochen und im Implantat ist. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass sich der Alveolarknochen in unmittelbarer Nähe der ausgeübten Kaukraft befindet.

Angesichts dieser Beobachtung ist eine zusätzliche Stabilisierung der Zygomaimplantate im Bereich des Alveolarkammes empfohlen. In Fällen von Maxillektomien ist mit einem ungünstigeren Spannungsverhältnis auf Knochen und Implantate zu rechnen, was in schlechteren Überlebensraten resultieren könnte. Allerdings müssen – unter Einbezug der Einschränkungen von Finite-Element-Analysen – die langfristigen Auswirkungen auf diese Implantate in klinischen Fällen noch weiter untersucht werden.


Singh SI, Shah AK, Singh MK, Sonnahalli NK
Vereinfachter, perforierender Lappen für Zygomaimplantate zur Rehabilita­tion tief liegender Oberkieferdefekte
Simplified zygomatic implant perforated (zip) flap for rehabilitation on low level maxillary defects. Journal of Maxillofacial and Oral Surgery. 2023 May 27; 1–8. Online ahead of print.

Art der Studie: Fallserie

Fragestellung: Kombination eines Weichgewebslappens mit Zygomaimplantaten zur kaufunktionellen Rehabilitation nach partieller Hemimaxillektomie und oroantraler Kommunikation

Materialien und Methoden: Bei 9 Patienten nach der Behandlung einer Mukormykose des Oberkiefers wurde eine Rehabilitation mittels 21 Zygomaimplantaten durchgeführt. Zur Abdeckung des Knochens im Oberkiefer benutzten die Autoren bei 5 Patienten zusätzlich einen gestielten Temporalislappen, der nach enoral eingeschwenkt wurde. Eine prothetische Versorgung via Obturator fand nach 3–4 Monaten statt, wobei der Temporalislappen ausgedünnt werden musste. Die Nachbeobachtungszeit betrug 18–20 Monate.

Ergebnisse: Ein Implantat (1/21; 5 %) ging nach ca. 4 Monaten verloren, die Entnahmemorbidität des Temporalislappens wurde als minimal eingeschätzt. Alle Patienten konnten suffizient kaufunktional rehabilitiert werden.

Zusammenfassung und Bewertung: Nach einer Hemimaxillektomie bestehen die Ziele der Rekonstruktion aus einer Wundabdeckung, dem Verschluss oronasaler Fisteln und der Wiederherstellung einer sozial akzeptablen Gesichtsästhetik des Patienten. Es ist wichtig, das Schlucken, die Nasenatmung, das Sprechen und die orale Ernährung funktionell wiederherzustellen.

Insbesondere bei Patienten mit Komorbiditäten, bei denen eine primäre Oberkieferrekonstruktion mit autologem Gewebe schwierig beziehungsweise nicht indiziert ist, stellt die Rehabilitation via Zygomaimplantaten eine gute Alternative dar, wobei insbesondere die Entnahmemorbidität verringert und die Zeit bis zur kaufunktionellen Rehabilitation oftmals verkürzt werden kann. Selbstverständlich ist bei einer reinen Fallserie eines heterogenen Kollektivs ohne Vergleichsgruppe die wissenschaftliche Evidenz stark limitiert.


Bedrossian E, Brunski J, Al-Nawas B, Kämmerer PW
Das Zygoma-Implantat unter Funktion: biomechanische Prinzipien geklärt
Zygoma implant under function: biomechanical principles clarified. International Journal of Implant Dentistry. 2023. 9 (1): 15

Art der Studie: narrative Literaturübersicht mit eigenen Ergänzungen

Fragestellung: Klärung der biomechanischen Prinzipien, die bei Zygomaimplantaten unter funktioneller Belastung auftreten

Materialien und Methoden: Zwei Autoren führten von Januar 2000 bis Februar 2023 eine elektronische Literaturrecherche durch und beschrieben die biomechanischen Prinzipien bei der Verwendung des Jochbeinimplantats für die Rekonstruktion des Oberkiefers anhand von In-vitro- und In-vivo-Studien. Eingeschlossen wurden Artikel, die die Belastungen innerhalb des Zygomaimplantats, des Oberkiefer- sowie des Jochbeinknochens unter funktionellen Belastungen beschrieben.

Ergebnisse: Der Mangel an Knochenunterstützung im Bereich des maxillären Alveolarfortsatz an der Implantatplattform führt zu einer deutlich höheren Belastung, die sowohl im Zygomaimplantat als auch im Jochbein gemessen werden konnte.

Zusammenfassung und Bewertung: Der Oberkieferalveolarfortsatz ist für Zygomaimplantate unter funktioneller Belastung die primäre Stütze. Zur Reduktion der Belastung auf Implantate und umliegenden Knochen wird daher nach Möglichkeit eine quadkortikale Stabilisierung der Zygomaimplantate und deren Verblockung empfohlen. Da allerdings nur wenige klinische Daten zu den untersuchten Fragestellungen existieren, stützen die Autoren ihre Aussagen vor allem auf Finite-Element-Analysen, die sie verständlich – wenn auch nicht systematisch – zusammenfassen.

Als Zusatz wird das Bedrossian-Brunski-Modell eingeführt, das die vorhandenen Finite-Element-Modelle noch einmal subsumiert und so iterativ nachweisen kann, dass der maxilläre Alveolarfortsatz tatsächlich maßgeblich an der Stressverteilung um Zygomaimplantate beteiligt ist.


Kämmerer PW, Fan S, Aparicio, C, Bedrossian E, Davo R, Morton D, Raghoebar GM, Zarrine S, Al-Nawas B
Bewertung chirurgischer Techniken hinsichtlich Überlebensraten und Komplikationen von Zygomaimplantaten zur Rehabilitation des atrophen zahnlosen Oberkiefers: eine systematische Literaturübersicht
Evaluation of surgical techniques in survival rate and complications of zygomatic implants for the rehabilitation of the atrophic edentulous maxilla: a systematic review. International Journal of Implant Dentistry. 2023. 9 (1): 11

Art der Studie: systematische Literaturanalyse

Fragestellung: Beurteilung des Überlebens und der Komplikationen von Zygomaimplantaten im stark atrophierten Oberkiefer im Vergleich der ursprünglichen chirurgischen Technik und des anatomisch gesteuerten Ansatzes

Materialien und Methoden: Zwei unabhängige Gutachter führten von Januar 2000 bis August 2022 eine elektronische Literaturrecherche durch. Die Einschlusskriterien waren Artikel, in denen mindestens 5 Patienten mit stark atrophem zahnlosem Oberkiefer mittels einer der beiden Techniken Zygomaimplantate bei einer Nachbeobachtungszeit von mindestens 6 Monaten erhielten. Verglichen wurden Anzahl der Patienten, Defektmerkmale, Anzahl der Zygomaimplantate, Implantatdetails, Operationstechniken, Überlebensraten, Belastungsprotokolle, prothetische Rehabilitationen, Komplikationen und Nachbeobachtungszeiten.

Ergebnisse: 24 Studien mit 2194 Zygomaimplantaten bei 918 Patienten mit 41 Implantatverlusten wurden inkludiert. Die Überlebensrate betrug 90,3–100 % bei der originalen und 90,4–100 % bei modifizierter Technik. Die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen bei der originalen Technik war wie folgt: Sinusitis: 9,53 %, Weichgewebsinfektion: 7,5 %, Parästhesie: 10,78 %, oroantrale Fisteln: 4,58 % und direkte chirurgische Komplikation: 6,91 %.

Bei den modifizierten Techniken traten folgende Komplikationen auf: Sinusitis: 4,39 %, Weichgewebsinfektion: 4,35 %, Parästhesie: 0,55 %, oroantrale Fisteln: 1,71 % und direkte chirurgische Komplikationen: 1,6 %. Die Prävalenz des Sofortbelastungskonzepts betrug 22,3 % bei den originalen und 89,6 % bei den modifizierten Techniken.

Zusammenfassung und Bewertung: Die Platzierung von Zygomaimplantaten bei der Rehabilitation stark atropher zahnloser Oberkiefer ist bei beiden Techniken mit einer hohen Implantatüberlebensrate und geringen chirurgischen Komplikationen innerhalb einer Nachbeobachtungszeit von mindestens 6 Monaten verbunden. Die vorliegende Studie gibt einen interessanten Einblick auf die Veränderungen der Insertionsprotokolle und die kontinuierliche Verbesserung im Laufe der Jahrzehnte. Leider war aufgrund der Heterogenität der Studien und insbesondere beim Fehlen von Kontrollgruppen in vielen Fällen eine weitergehende statistische Evaluation nicht möglich.

Synopsis

Die Rehabilitation des atrophen Oberkiefers stellt aufgrund des begrenzten Knochenvolumens, der mit Augmentationsverfahren verbundenen Komplikationen, der Morbidität der Patienten und den daraus entstehenden Kosten eine große Herausforderung dar. Die Mindestanzahl herkömmlicher Implantate zur Unterstützung einer festsitzenden Prothese im Oberkiefer beträgt 4 Implantate; im stark atrophen Oberkiefer ist dieser Eingriff jedoch ohne eine größere Knochenaugmentation oder -transplantation beziehungsweise ohne ausgedehnte Sinusbodenaugmentation nicht möglich. Zygomaimplantate müssen dort als valide Alternative zu den oben genannten Verfahren zwecks kaufunktioneller Rehabilitation des atrophen und/oder defekten Oberkiefers gesehen werden. Das Zygomaimplantat ist mit seiner im Allgemeinen vorliegenden Länge von 30–60 mm und seinen nicht-axialen Trajektorien bei Insertion unter den zahnärztlichen Implantaten einzigartig.

Bei der ursprünglichen Brånemark-Technik wird die Osteotomie durch den kortikalen Anteil des maxillären Alveolarknochens eingeleitet, gefolgt von der Penetra­tion des kortikalen Bodens der Kieferhöhle. Die anschließende Bohrung kann innerhalb oder außerhalb der Kieferhöhle erfolgen, abhängig von der Kontur der Seitenwand der Kieferhöhle. Der Bohrer dringt dann in die Basis des Jochbeinknochens ein, bewegt sich durch den Körper des Jochbeinknochens und dringt schließlich durch seine seitliche Kortikaliswand nach außen. Die beiden Kortikalisplatten im Oberkiefer sorgen für eine bikortikale Stabilisierung der Implantatplattform. Die zusätzlichen 2 Kortikalisplatten am Jochbein sorgen für die zweite bikortikale Stabilisierung des apikalen Teils des Jochbeinimplantats. Dadurch wird das Jochbeinimplantat quadkortikal stabilisiert. Zur Planung von Zygomaimplantaten wird – egal bei welcher Insertionstechnik – immer eine 3D-Bildgebung empfohlen. Auf diese Weise kann der Arzt visualisieren und vorhersagen, ob die Plattform des Jochbeinimplantats im Oberkiefer des Patienten stabilisiert wird und ob sich der mittlere Teil des Jochbeinimplantats vollständig innerhalb, teilweise innerhalb oder vollständig außerhalb der Kieferhöhle befindet. Es wurden Modifikationen der Originaltechnik vorgeschlagen, um den mittleren Teil des Implantats außerhalb der Kieferhöhle zu platzieren.

2008 wurde erstmals für die erleichterte Insertion von Zygomaimplantaten außerhalb der Kieferhöhle der Alveolarknochen im Oberkiefer entfernt. Allerdings wurden die biomechanischen Veränderungen bei dem nun mit einem langen Hebel versehenen Implantat (quad-versus bikortikale Stabilisierung) nur wenig berücksichtigt. Insgesamt konnte festgestellt werden, dass sich die zentrischen und lateralen okklusalen Belastungen unabhängig von der Implantatlänge auf die Implantatplattform und die ersten 3–5 mm der Implantatlänge konzentrieren.

Die vorgestellten Studien kamen zwar zu dem Ergebnis, dass auch eine rein im Jochbeinkörper verankerte Zygomaimplantatposition gute Ergebnisse erbringen kann, es allerdings ohne knöcherne Unterstützung am Alveolarknochen des Oberkiefers zu einem signifikanten Anstieg der Belastungen an der Zygomaimplantatplattform kommt. Insbesondere eine Verblockung der Zygomaimplantate reduziert hier die Belastung der Implantatplattform, während eine Belastung nicht-verblockter Jochbeinimplantate derzeit weniger empfohlen wird.

Im Vergleich der „älteren“ mit den „neueren“ und modifizierten Insertionsprotokollen zeigen beide sehr gute Implantatüberlebensraten, wobei insbesondere die modifizierten, anatomie-geführten Techniken weniger Komplikationen im Verlauf aufweisen.

Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Leitender Oberarzt und stellv. Klinikdirektor; Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie − Plastische Operationen − der Universitätsmedizin Mainz

peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de

Prof. Dr. Karl M. Lehmann, M.Sc.

Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde der Universitätsmedizin Mainz

karl.lehmann@unimedizin-mainz.de


(Stand: 29.08.2023)

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