E. Schneider1, G. Wahl2
Einführung: Das Ziel der vorliegenden Studie war es, die diagnostische Aussagekraft konventioneller intraoraler Zahnfilmaufnahmen in Bezug auf implantatnahe Läsionen des humanen Kieferknochens zu überprüfen. Des Weiteren sollten Faktoren beschrieben und untersucht werden, welche die Erkennbarkeit oben genannter Läsionen beeinflussen.
Material und Methoden: Neunzehn Kieferknochensegmente aus Ober- oder Unterkiefer wurden mit jeweils einem dentalen Implantat versorgt und die Situation mit einer orthoradialen und einer exzentrischen Zahnfilmaufnahme dokumentiert. Anschließend wurden von oral und auch vestibulär (jeweils n = 9) verschieden große implantatnahe Knochendefekte präpariert. Jeder Defekt wurde nach der Anfertigung eines orthoradialen und eines exzentrischen Zahnfilmes mit Bohrern aufsteigender Größe erweitert, sodass von jedem einzelnen Segment am Ende 20 Zahnfilme vorlagen. Diese wurden von 6 Untersuchern mit unterschiedlich langer diagnostischer Erfahrung begutachtet. Die Betrachter sollten die Zahnfilme auf die mögliche Erkennbarkeit implantatnaher Defekte hin analysieren. Die Ergebnisse wurden dokumentiert und auf deren Grundlage ein mathematisches Vorhersagemodell für die Erkennbarkeit implantatnaher Knochendefekte erstellt.
Ergebnisse: Das Modell zeigte, dass Defekte besser erkannt wurden, wenn diese oral des Implantats lagen, im Oberkiefer lokalisiert waren und auf einem exzentrischen Zahnfilm abgebildet waren. In der Kombination dieser Parameter lag der Mindestdurchmesser für einen Defekt, der von allen Betrachtern erkannt wurde, bei 4,5 mm im Ober- und 5 mm im Unterkiefer, bei einem Durchmesser von 1,8 mm diagnostizierte die Hälfte der Betrachter den Defekt.
Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse der vorliegenden Studie legen nahe, dass im Recall bei Implantatpatienten neben der klinischen und standardisierten radiologischen Diagnostik zusätzliche exzentrische Röntgenaufnahmen zur Darstellung ossärer Defekte erforderlich sein können. Darstellung und Diagnose besonders kleiner Läsionen sind mit konventionellen Zahnfilmaufnahmen nicht immer möglich.
Schlüsselwörter: Knochenläsionen; Implantatnachsorge; röntgenologische Diagnostik; Implantate
Zitierweise:
Schneider E, Wahl G: Röntgenologische Analyse experimentell erzeugter implantatnaher Läsionen im humanen Kieferknochen – ein In-vitro-Modell. Z Zahnärztl Implantol 2013;29:308–320
DOI 10.3238/ZZI.2013.0308–0320
Einleitung
Die Implantologie ist heute ein wichtiger Bestandteil der zahnärztlichen Behandlung und bietet vielfältige Möglichkeiten zum Ersatz der eigenen Zähne.
Die Gewebe, die im Rahmen einer Implantation von großer Bedeutung sind, sind der Alveolarknochen, die bedeckende Schleimhaut sowie die Gingiva. Die Einheilung eines Implantates und damit der Erfolg hängen entscheidend vom Zustand dieser Gewebe, beziehungsweise ihrer Reaktion auf die Implantation ab. Während die Schleimhaut und die Gingiva klinisch zu beurteilen sind, lässt sich der Alveolarknochen nur indirekt mithilfe verschiedener bildgebender Verfahren, meist radiologischer Art, betrachten. Diese Tatsache verdeutlicht die Wichtigkeit qualitativ hochwertiger und aussagekräftiger Aufnahmen, da sie in der Regel die einzige Grundlage darstellen, auf der eine Beurteilung des Kieferknochens erfolgen kann. Deshalb spielen radiologische Aufnahmen eine entscheidende Rolle sowohl in der präoperativen Planung als auch in der Nachsorge [1, 4].
Intraorale Zahnfilmaufnahmen weisen die höchste Auflösung (Linien/mm) unter den gängigen radiologischen Aufnahmen auf und kommen besonders dann zum Einsatz, wenn nur ein kleines Gebiet abgebildet werden soll oder eine bestimmte Region genau dargestellt werden muss. Für die präoperative Planung sind sie allein nur bedingt geeignet, da sie nur eine zweidimensionale Darstellung des Operationsgebietes erlauben. Für die Planung von Einzelzahnimplantaten bei unkomplizierten anatomisch-topographischen Verhältnissen kann ein Zahnfilm zusätzlich zur Übersichtsaufnahme ausreichend sein, für umfangreiche und kompliziertere Planungen ist oft eine dreidimensionale Darstellung, etwa als digitale Volumentomographie anzufertigen.
Im Implantat-Recall hingegen stellt der Zahnfilm im Rahmen der radiologischen Kontrolle insbesondere bei Einzelzahnimplantaten die Aufnahme der Wahl dar, da er eine sehr hohe Auflösung bei relativ geringer Strahlenbelastung des Patienten bietet.
Um ein zufriedenstellendes Ergebnis zu sichern und Komplikationen wie eine Periimplantitis zu vermeiden bzw. rechtzeitig zu erkennen, ist die radiologische Kontrolle der entsprechenden Region im Recall von essenzieller Bedeutung. Ein besonderes Augenmerk muss bei der Betrachtung der Aufnahmen auf eventuell auftretende Läsionen des Alveolarknochens gerichtet werden. Diese müssen frühzeitig diagnostiziert und gegebenenfalls therapiert werden, um den Implantatverlust zu verhindern [15].
Vor diesem Hintergrund sollte ermittelt werden, wie groß der Durchmesser einer Knochenläsion in Ober- oder Unterkiefer mindestens sein muss, damit der Defekt von allen Betrachtern erkannt wird, wenn er nicht mesial oder distal des Implantates, sondern vestibulär oder oral lokalisiert ist. Zudem sollte die oftmals bessere Sichtbarkeit von implantatnahen Läsionen auf exzentrisch aufgenommenen Zahnfilmen im Vergleich zu orthoradialen Aufnahmen verifiziert werden.
Material und Methoden
Aus dem Anatomischen Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn wurde für diese Untersuchung menschlicher Kieferknochen von 3 Individuen zur Verfügung gestellt. Es handelte sich dabei um unbezahnte Knochen des Ober- und Unterkiefers, die mit Formaldehyd (Formalin) konserviert worden waren. Der Knochen wurde in 2–3 cm große Segmente geteilt und fortlaufend nummeriert. Es erfolgte zusätzlich eine Kennzeichnung mit den Buchstaben „R“ und „L“ für rechts und links sowie „O“ für den Oberkiefer. Das den Knochen umgebende Weichgewebe wurde abgelöst und entfernt.
Es wurden 19 Segmente ausgewählt, die die Voraussetzungen für eine Implantatinsertion erfüllten. Die Lagerung der Segmente erfolgte in 70 %igem Alkohol in jeweils einzelnen Schraubendeckeldosen (Carl Roth GmbH + Co. KG , Karlsruhe) bei 4 °C.
Jedes Knochensegment wurde mit einem Implantat (Straumann Implant Standard/Standard Plus; Straumann AG Basel, Switzerland) versorgt, das einen Durchmesser von 3,3 mm und eine Länge von 8 oder 10 mm hatte.
Nach der Implantatinsertion wurden implantatnahe Defekte in den Knochen gesetzt, die sich entweder oral oder vestibulär des Implantats befanden (Abb. 1). Nach radiologischer Dokumentation (s.u.) wurden die Defekte jeweils mit dem nächst größeren Bohrer erweitert, sodass bei jedem Segment alle Größen zum Einsatz kamen. Hierzu wurden chirurgische Hartmetall-Rundbohrer (Meisinger, Neuss) in 9 verschiedenen Größen (Ø 1 mm bis Ø 5 mm) verwendet. Vor der ersten Defektbohrung und nach jeder weiteren Bohrung wurden von jedem Segment 2 konventionelle Zahnfilme angefertigt. Um 2 verschiedene Darstellungen eines Defektes zu erhalten, wurde der Röntgenstrahl für den ersten Zahnfilm orthoradial (90°) auf das Knochensegment gerichtet, für den zweiten Zahnfilm exzentrisch (45°) von mesial kommend (Abb. 2). Das verwendete Röntgengerät Oralix 65 (Philipps, Hamburg) wurde auf eine Belichtungszeit von 0,32 s eingestellt, die Spannung lag bei 70 kV und die Stromstärke bei 7 mA. Die belichteten Zahnfilme (Kodak Insight Dental Film; Kodak, Stuttgart) wurden anschließend im Automaten standardisiert entwickelt (Dürr Dental XR 24 Nova; Dürr Dental, Bietigheim – Bissingen), mit der Segmentnummer gekennzeichnet und randomisiert in handelsübliche Kunststoffhüllen einsortiert. Insgesamt lagen danach 380 Zahnfilme zur Auswertung vor.
Die Zahnfilme wurden nun 6 Betrachtern mit unterschiedlich langer Erfahrung in der Röntgendiagnostik vorgelegt. Zur Befundung diente eine Leuchtplatte der Firma Kaiser („Prolite basic“; Kaiser Fototechnik GmbH & Co. KG, Buchen), die auf die höchste Helligkeitsstufe (4x13 W) eingestellt wurde. Der unbenutzte Teil des Diabetrachters wurde abgedeckt und somit eine mögliche Blendwirkung ausgeschlossen.
Die Aufgabe für die 6 Betrachter lautete, die Zahnfilme auf implantatnahe Knochendefekte zu untersuchen, wobei im Vorfeld keinerlei Angaben zu Größe, Form oder Entstehung eines möglichen Defektes gemacht wurden. Jeder vermeintlich erkannte Defekt musste der Person gezeigt werden, die die Betrachtung anleitete und kontrollierte. So konnte die Erkennung „falscher“ Defekte, Artefakte oder bereits zuvor vorhandener Knochenläsionen ausgeschlossen werden.
Die statistische Auswertung erfolgte mit dem Verfahren der linearen Regression (PASW Statistics 18.0 für Mac; SPSS GmbH, München). Diese statistische Analysemethode ermöglicht es, eine abhängige Variable mithilfe der unabhängigen beeinflussenden Variablen zu charakterisieren und ein Modell zu berechnen, mit dem die unabhängige Variable als Zielgröße näherungsweise vorhersagbar wird. Im vorliegenden Fall ist die abhängige Variable die Zielgröße „Defekterkennung ja/nein“, die unabhängigen erklärenden Variablen sind die Defektgröße (Bohrergröße), die Lage des Defektes (oral oder vestibulär), die Aufnahmerichtung der Zahnfilme (orthoradial oder exzentrisch) und die Kieferknochenart (Ober- oder Unterkiefer). Da es bei der multiplen linearen Regression theoretisch nur um die Beschreibung einer Geraden geht, lautet die allgemeine Modellgleichung
y = a + b1*x1 + b2*x2 +...bn*xn,
wobei in dieser Studie n = 4 ist. Gibt es nur eine erklärende Variable x, so lassen sich veranschaulichend „a“ als der Achsenabschnitt der Geraden und „b“ als das Steigungsmaß interpretieren. Bei mehreren erklärenden Variablen lässt sich die Regressionsgleichung grafisch nicht mehr als Gerade darstellen, weshalb dann „a“ als Konstante und „b1–bn“ als Regressionskoeffizienten bezeichnet werden. x1–xn nehmen die Werte der jeweiligen Variablen an [5].
Durch die errechneten Regressionskoeffizienten werden die unabhängigen Variablen charakterisiert beziehungsweise gewichtet und ermöglichen somit eine Berechnung von „y“. Der Wert für „y“ gibt auf der Basis der ermittelten Daten eine Näherung an das zu erwartende Betrachtungsergebnis an. Die Signifikanzschwelle wurde bei p ? 0,05 festgelegt.
Ergebnisse
Das als Ergebnis der linearen Regression vorliegende Modell charakterisiert die Abhängigkeiten zwischen der Defekterkennung und den beeinflussenden Variablen (Defektgröße, Lage des Defekts, Aufnahmerichtung, Art des Kieferknochens). Um möglichst differenzierte Aussagen zu den einzelnen Variablen und ihrer Wertigkeit treffen zu können, wurde zusätzlich für jede unabhängige Variable eine einzelne lineare Regression durchgeführt. Dadurch war es möglich, einen direkten Zusammenhang zur abhängigen Variablen, der Defekterkennung herzustellen. Während die für die einzelnen Variablen errechneten Modelle nur Tendenzen aufzeigen können, lassen sich mithilfe des Gesamtmodells konkrete Schlussfolgerungen ziehen [23].
Größe des Defekts
Für die Abhängigkeit der Variablen „y“ von der Einflussvariablen „Defektgröße“ wurde folgendes statistisch signifikante Modell errechnet (Tab. 1):
y = 0,288 + 0,07 * x,
wobei „x“ die Werte 1 bis 9 annehmen kann. Es kann also für jede Bohrergröße und damit Defektgröße ausgerechnet werden, wie laut des Modells das mittelwertige Urteil der Betrachter näherungsweise ausfallen wird. Durch Einsetzen der entsprechenden Bohrergrößen wird deutlich, dass die Wahrscheinlichkeit der Defekterkennung mit dem Durchmesser des Defektes steigt, wie zu erwarten ist.
Lage des Defekts
Für die Abhängigkeit der Variablen „y“ von der Einflussvariablen „Lage des Defekts“ ergibt sich als statistisch signifikantes Modell (Tab. 2):
y = 0,566 + 0,151 * x,
wobei „x“ die Werte 0 (vestibulär) oder 1 (oral) annehmen kann.
Es lässt sich durch Einsetzen der entsprechenden Werte feststellen, dass der Wert für „y“ bei oraler Lage des Defekts immer höher ist als bei vestibulärer Lage. Die Gleichungen hierzu lauten:
y = 0,566 + (0,151 * 0) = 0,566
für einen vestibulären Defekt und
y = 0,566 + (0,151 * 1) = 0,717
für einen oralen Defekt.
Anhand der mit dem Modell errechneten näherungsweisen Werte wird deutlich, dass ein oral gelegener und damit zahnfilmnaher Defekt des Kieferknochens häufiger im Zahnfilm erkannt wird als ein vestibulär gelegener Defekt.
Aufnahmerichtung
Für die Abhängigkeit der Variablen „y“ von der Einflussvariablen „Aufnahmerichtung“ ergibt sich als statistisch signifikantes Modell (Tab. 3):
y = 0,600 + 0,074 * x,
wobei „x“ die Werte 0 (orthoradial) oder 1 (exzentrisch) annehmen kann.
Es lässt sich durch Einsetzen der entsprechenden Werte feststellen, dass der Wert für „y“ bei einer exzentrischen Aufnahme immer höher ist als bei einer orthoradialen Projektion. Die Gleichungen hierzu lauten:
Y = 0,600 + (0,074 * 0) = 0,600
für eine orthoradiale Aufnahme und
y = 0,600 + (0,074 * 1) = 0,674
für eine exzentrische Aufnahme.
Das Modell belegt somit, dass Defekte des Kieferknochens häufiger erkannt werden, wenn der Zahnfilm in exzentrischer Aufnahmetechnik angefertigt wurde.
Art des Kieferknochens
Für die Abhängigkeit der Variablen „y“ von der Einflussvariablen „Art des Kieferknochens“ gilt in Analogie (Tab. 4):
y = 0,705 + (–0,107) * x,
wobei „x“ die Werte 0 (Oberkiefer) oder 1 (Unterkiefer) annehmen kann.
Es lässt sich durch Einsetzen der entsprechenden Werte feststellen, dass der Wert für „y“ bei einem Defekt im Oberkiefer höher ist als bei einem Defekt im Unterkiefer. Bedingt durch das negative Vorzeichen des Regressionskoeffizienten ergibt sich beim Einsetzen eines Wertes > 0 für „x“ immer ein niedrigerer Wert als für x = 0.
Die Gleichungen hierzu lauten:
y = 0,705 + (–0,107 * 0) = 0,705
für einen Defekt im Oberkieferknochen und
y = 0,705 + (–0,107 * 1) = 0,598
für einen Defekt im Unterkieferknochen.
Das Modell zeigt somit, dass implantatnahe Defekte des Kieferknochens eher bei Implantaten im Oberkiefer erkannt werden.
Gesamtmodell
Das in Tabelle 5 aufgeschlüsselte Gesamtmodell, in das alle 4 unabhängigen Variablen miteinbezogen wurden, erlaubt eine Vorhersage des mittelwertigen Urteils der Betrachter unter Berücksichtigung aller erfassten Einflussgrößen. Die Regressionskoeffizienten für die einzelnen Variablen weichen nur minimal von den in den einzelnen Regressionen berechneten Variablen ab und werden daher nicht erneut aufgeschlüsselt.
Die Gleichung des Gesamtmodells lautet:
y = 0,251 + 0,070 * v + 0,074 * w + (–0,118) * x + 0,159 * z,
dabei gilt: v = Wert für die Bohrergröße (1–9)
w = Wert für die Aufnahmerichtung (0 oder 1)
x = Wert für die Art des Kieferknochen (0 oder 1)
z = Wert für die Lage des Defekts (0 oder 1).
Es lässt sich mit diesem Modell für jede beliebige Variablenkombination näherungsweise errechnen, wie das Urteil bezüglich der Defekterkennung im Mittel ausfallen wird. Durch entsprechendes Einsetzen lassen sich außerdem die Ergebnisse der einzelnen Regressionen konkretisieren.
Wie bereits beschrieben, werden Defekte im Kieferknochen häufiger im Zahnfilm erkannt, wenn dieser exzentrisch aufgenommen wurde und der Defekt oral liegt. Des Weiteren zeigen die Berechnungen die bessere Erkennbarkeit der Defekte im Oberkieferknochen. Mithilfe des Gesamtmodells kann auch berechnet werden, ab welcher Bohrergröße (Defektgröße) nahezu alle Betrachter den Defekt erkennen, wenn die 3 anderen Variablen jeweils den für die Erkennbarkeit günstigeren Wert annehmen. Es ergibt sich folgende Gleichung:
y = 0,251 + 0,070 * v + 0,074 * 1 + (–0,118 * 0) + 0,159 * 1.
Setzt man nun für die Bohrergröße (Defektgröße) nacheinander alle Werte von 1 bis 9 ein, so wird deutlich, dass zwischen der Bohrergröße 7 (Ø 4 mm) und der Bohrergröße 8 (Ø 4,5 mm) die Defektgröße liegt, die laut Modell von allen Betrachtern erkannt wird.
Des Weiteren bestätigt das Gesamtmodell unter Einbeziehung der Auswertung durch die Betrachter die oben dargestellten Ergebnisse und es lässt sich deshalb schlussfolgern, dass die Erkennbarkeit eines implantatnahen Knochendefekts am wahrscheinlichsten ist, wenn der Defekt im Oberkiefer auf der oralen Seite des Knochens liegt und der Zahnfilm exzentrisch aufgenommen wurde.
Inwieweit die Erfahrung der Betrachter Einfluss auf die Defekterkennung hat, sollte ein Vergleich zwischen der Gruppe der erfahrenen und der Gruppe der weniger erfahrenen Betrachter zeigen. Es ergeben sich durch die einzeln für erfahrene und weniger erfahrene Betrachter durchgeführten linearen Regressionen unter Einbeziehung aller Variablen 2 Gesamtmodellgleichungen, die zeigen, dass die Erfahrung in Bezug auf die Defekterkennung keine signifikante Rolle spielt.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass verschiedene Faktoren die Erkennbarkeit von Knochendefekten beeinflussen. Der wichtigste Parameter im errechneten Vorhersage-Modell ist die Größe des Defekts, die in zahlreichen Studien, welche sich mit dem „critical size defect“ befassen, untersucht wurde [8, 14, 19, 26, 31]. Der „critical size defect“ (CSD) ist definiert als ein Knochendefekt, der nicht im Laufe des Lebens selbstständig ausheilt [31], also einer Therapie im Sinne einer Heilungsunterstützung bedarf. Die meisten Studien untersuchten den CSD im Tiermodell, das trotz vieler Ähnlichkeiten nur eine Näherung sein kann [28]. Die Werte für den CSD unterscheiden sich erheblich und deshalb kamen Sohn et al. [32] zu dem Schluss, dass es unmöglich sei, einen einzigen exakten Wert für den CSD zu bestimmen. Außerdem scheinen das Vorhandensein oder die Abwesenheit von Periost entscheidender für die Heilung zu sein, als die Größe der Knochenläsion [3, 14].
Bezogen auf die vorliegende Studie zeigt sich, dass der hier bestimmte Schwellenwert für die Erkennung eines Defekts deutlich unter dem für den CSD angegebenen Werten (15–50 mm) liegt. Diese Erkenntnis ist nicht gleichzusetzen mit der Aussage, dass diese Defekte keiner Behandlung bedürfen. Es wird vielmehr die Relation für eine individuelle Beurteilung von Regenerationsprozessen und heilungsunterstützenden Maßnahmen, z.B. dem Einsatz von Knochenersatzmaterialien zur Defektregeneration geschaffen.
Besonders bei Patienten, die eine Versorgung mit Implantaten bekommen haben, ist es entscheidend, dass die entsprechenden Regionen sorgfältig und regelmäßig kontrolliert werden, um eventuelle Veränderungen zu erkennen und gegebenenfalls zu therapieren.
Das errechnete Gesamtmodell kann eine erste Orientierung geben, es sind jedoch weitere Studien nötig, da sich die meisten aktuellen Studien mit Defekten im Rahmen der Periimplantitis [12, 13, 17, 29] oder mit apikalen Läsionen an Implantaten [7, 27, 30] befassen, wobei die Defektanalysen per Röntgenbild auf die distal und mesial gelegenen Veränderungen fokussiert sind.
Es ist erwiesen, dass die röntgenologische Sichtbarkeit von oral liegenden Knochendefekten besser ist als die von bukkal liegenden Defekten, da sich die oralen Läsionen näher am Zahnfilm befinden [21, 24].
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie bestätigen dies, ebenso wie die bessere Sichtbarkeit von Defekten im Oberkieferknochen, verglichen mit Läsionen des Unterkieferknochens. Grund hierfür scheint die unterschiedliche Strahlendurchlässigkeit der Knochen zu sein, die in diversen Studien untersucht wurde [1, 6].
Im Falle einer vermuteten, für die Aufnahme unvorteilhaft lokalisierten Läsion des Knochens, kann die Wahrscheinlichkeit der Erkennung durch einen exzentrisch aufgenommenen Zahnfilm erhöht werden. Hierbei sollte der Strahlengang von mesial oder distal so eingestellt werden, dass eventuelle Überlagerungen des Implantates mit der Läsion verringert werden. Ziel dieser zusätzlichen Aufnahme ist es, die sich bei orthoradialem Strahlengang überlagernden Objekte bzw. Strukturen so frei zu projizieren, dass sie nebeneinander auf dem Zahnfilm beurteilbar sind [9]. Dieser Fall traf im Rahmen der vorliegenden Studie auch auf die Defekte zu, deren Durchmesser kleiner war, als der des Implantates. Der Durchmesser der verwendeten Implantate lag bei 3,3 mm und die Defekte, deren Durchmesser geringer war, wurden im orthoradialen Zahnfilm vom Implantat überlagert [22, 25]. Betroffen waren hiervon alle Läsionen mit einem Durchmesser bis 3,1 mm (Bohrergröße 6), weshalb jeweils ein zusätzlicher exzentrischer Zahnfilm aufgenommen wurde.
Im errechneten Modell für die Aufnahmerichtung wird die Abhängigkeit der Defekterkennung von der Richtung des Strahlengangs deutlich. Es ist offensichtlich, dass die Wahrscheinlichkeit der Erkennung steigt, wenn der Wert der unabhängigen Variablen auf „1“ gesetzt wird, die Aufnahme also exzentrisch angefertigt wurde. Dies bestätigt sich auch bei entsprechendem Einsetzen der Werte in das Gesamtmodell, wobei sich die Wahrscheinlichkeiten für die Erkennung eines exemplarisch eingesetzten Defektes mit 4 mm Durchmesser um 7 % unterscheiden, in Abhängigkeit von der Aufnahmerichtung.
Dieses Ergebnis war letztlich zu erwarten, da in anderen Studien die bessere Darstellung überlagerter Defekte mithilfe exzentrisch aufgenommener Zahnfilme mit anderen Versuchsansätzen bereits untersucht wurde [10, 33].
Schlussfolgerungen
Bezieht man die Ergebnisse auf den klinischen Alltag, so können sie die Bildgebung im Recall von Implantatpatienten beeinflussen. Während bei Einzelzahnimplantaten standardmäßig ein orthoradialer Zahnfilm angefertigt wird, kann ein zusätzlicher exzentrischer Film zur Beurteilung des oral und bukkal liegenden Knochens bei entsprechendem Verdacht sinnvoll sein. Die Anfertigung erscheint besonders dann gerechtfertigt, wenn sich aus den klinischen Befunden der Verdacht auf eine Läsion des Kieferknochens ergibt, der sich im orthoradialen Zahnfilm nicht bestätigt. Es ist dabei die höhere Strahlenbelastung zu bedenken, die jedoch im Verhältnis zur möglichen Mehrinformation vertretbar erscheint. Besonders vor dem Hintergrund, dass eine frühe Diagnose ossärer Läsionen die Prognose des Implantats durch entsprechende Therapie entscheidend verbessern und gegebenenfalls auch einen Verlust verhindern kann.
Die im Rahmen der Studie bestimmten Werte für den Durchmesser eines im Zahnfilm sichtbaren Knochendefekts zeigen aber auch deutlich die Limitation der konventionellen intraoralen Aufnahmen auf, wie sie bereits von van Assche et al. aufgezeigt wurden [34]. Selbst bei exzentrischen Aufnahmen ist es oftmals nicht möglich, ossäre Läsionen zu diagnostizieren beziehungsweise diese auszuschließen. Die neueren Aufnahmetechniken, mit welchen eine dreidimensionale und hochauflösende Darstellung möglich ist, bieten hier wichtige Vorteile [22]. So gewinnen die Computertomographie und insbesondere die Digitale Volumentomographie immer mehr Bedeutung im Rahmen der präoperativen Diagnostik und Planung [2, 11, 18, 20]. Postoperativ sollen diese aber nur nach strenger Indikationsstellung eingesetzt werden. Zwar würden auch hier dreidimensionale Aufnahmen mehr Informationen liefern und eine bessere Beurteilung bei knöchernen Defektsituationen ermöglichen, zu bedenken ist jedoch die erhöhte Strahlenbelastung. Die Anwendung sollte daher auf Situationen beschränkt bleiben, die therapieentscheidend eine erweiterte Röntgendiagnostik benötigen. Hier ist besonders an Situationen zu denken, in denen eine Symptomatik vorliegt, deren Ursache weder durch klinische noch durch konventionelle röntgenologische Diagnostik eindeutig identifiziert werden kann. Ebenso in Betracht zu ziehen ist die Anfertigung dreidimensionaler Aufnahmen, wenn die genaue Kenntnis von Lage und Ausdehnung einer ossären Läsion zu einer Änderung des Therapiekonzeptes führen könnte.
Bei postoperativen Untersuchungen kann alternativ ergänzend eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt werden [16]. Dieses Verfahren ist nicht-invasiv und kann wichtige Zusatzinformationen zu möglichen Läsionen des Knochens liefern.
Sollten weder die orthoradialen und exzentrischen Zahnfilmaufnahmen noch einfache Schichtaufnahmen oder eine Ultraschalluntersuchung zu ausreichender Bildgebung führen, beispielsweise bei Patienten mit Symptomen ungeklärter Ursache in der Region des Implantats, so ist es dem Behandler überlassen, weitere diagnostische Maßnahmen in Ergänzung zur klinischen Befundsituation zu nutzen.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt im Sinne des ICJME besteht.
Zitierweise:
Schneider E, Wahl G: Röntgenologische Analyse experimentell erzeugter implantatnaher Läsionen im humanen Kieferknochen – ein In-vitro-Modell. Z Zahnärztl Implantol 2013;29:308–320
DOI 10.3238/ZZI.2013.0308–0320
Korrespondenzadresse
Dr. Eva Schneider
Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und
Präventive Zahnheilkunde, Universitätsklinikum Bonn
Welschnonnenstraße 17, D-53111 Bonn, Germany
Tel.: +49-(0)-228–287–22428
eva.schneider@uni-bonn.de
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Fussnoten
1 Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde, Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universitätsklinikum Bonn
2 Direktor der Poliklinik für Chirurgische Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universitätsklinikum Bonn