Versorgung nach Hemimaxillektomie

DOI: 10.3238/ZZI.2020.0256−0260

Manchmal ist weniger mehr – defektprothetische Versorgung im Oberkiefer nach Hemimaxillektomie

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Schlüsselwörter: Implantation Oberkiefer Plattenepithelkarzinom Prothetik ablative Chirurgie minimalinvasiv

Ziel: In der vorliegenden Fallbeschreibung wird eine Option zur implantatprothetischen Versorgung des Oberkiefers nach ablativer Chirurgie ohne ossäre Rekonstruktion präsentiert.

Material und Methode: Bei einem 60-jährigen Patienten erfolgte aufgrund eines Plattenepithelkarzinoms im anterioren Oberkiefer eine Hemimaxillektomie. Nach einer alio loco fehlgeschlagenen Beckenkammaugmentation des Oberkieferdefekts wurden in den residualen Knochen strategisch zahnärztliche Implantate inseriert und der Patient steggetragen-implantatprothetisch rehabilitiert.

Schlussfolgerung: Mittels einer minimal­invasiven implantatprothetischen Lösung lassen sich bei sorgfältiger präoperativer Planung und Analyse nicht selten auch im Fall einer defizitären Oberkiefersituation gute Ergebnisse in funktioneller und ästhetischer Hinsicht erreichen.

Schlüsselwörter: Plattenepithelkarzinom; Oberkiefer; ablative Chirurgie; Implantation; Prothetik; minimalinvasiv

Zitierweise: Bjelopavlovic M, Kämmerer PW: Versorgung nach Hemimaxillektiomie. Manchmal ist weniger mehr – implantatprothetische Versorgung im Oberkiefer nach Hemimaxillektomie. Z Zahnärztl Implantol 2020; 36: 256−260

DOI.org/10.3238/ZZI.2020.0256−0260

Einleitung

Das Mundhöhlenkarzinom beinhaltet nach abgeschlossener Primärtherapie des Tumors oftmals einen komplexen Ansatz in der Wiederherstellung der Kau- und Sprechfunktionalität. Der rekonstruktive Anteil der dentalen Rehabilitation ist entscheidend bei der psychosozialen Reintegration der Betroffenen und muss nach patientenindividuellen Risikofaktoren festgelegt werden [1, 2].

Hierbei gibt es insbesondere bei Defekten im Oberkiefer in der Literatur nicht ausreichend Evidenz für ein allgemein zu bevorzugendes chirurgisches und/oder prothetisches Konzept bei der Versorgung dieser herausfordernden Fälle [7, 3], jedoch sollen die Hygienefähigkeit und die Möglichkeit einer strukturierten Nachsorge im Vordergrund stehen [5]. Der vorgestellte Fall beleuchtet einen implantatprothetischen Ansatz zur funktionellen und ästhetischen Rehabilitation eines ausgedehnten Kieferdefekts nach ablativer Entfernung eines Plattenepithelkarzinoms im Oberkiefer nach alio loco fehlgeschlagener ossärer Augmentation.

Ausgangslage

 

Ein 60-jähriger Patient stellte sich 2017 in der ambulanten Sprechstunde der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin Mainz mit gesicherter Diagnose eines Plattenepithelkarzinoms im anterioren Oberkiefer zwecks Therapieübernahme vor. Ursprünglich wurde der Patient aufgrund des gelockerten Zahns 21 vorstellig, der ihm Schmerzen bereitete. Bei der klinischen Befundung imponierte der histologisch gesicherte Befund extraoral unauffällig, intraoral stellte sich eine 4x5 cm große, verrukös-ulzeröse Mundschleimhautveränderung in regio 21–25 dar (Abb. 1). Zur weiteren Diagnostik wurde eine Panoramaschichtaufnahme angefertigt (Abb. 2) sowie ein Staging (CT-Kopf/Hals- und Röntgen-Thorax-Aufnahme) initiiert. In Zusammenschau der Befunde ergab sich die Tumorformel cT4a, cN0, Mx. Anamnestisch wies der Patient eine gut eingestellte arterielle Hypertonie auf und nahm täglich einen selektiven Betablocker sowie einen Angiotensin-Converting-Enzym-Hemmer ein. Des Weiteren wurde eine Edoxaban-Therapie zur Antikoagulation angegeben. Im interdisziplinären Tumorbord der Universitätsmedizin Mainz wurde die Empfehlung zur chirurgischen Therapie des den Oberkiefer infiltrierenden Plattenepithelkarzinoms getroffen.

Vorgehensweise

Chirurgische Therapie

Das oben beschriebene Plattenepithelkarzinom wurde im Sinne einer Hemimaxillektomie unter Bewahrung eines Sicherheitsabstandes am pathologischen Präparat von mindestens 0,5 cm reseziert (Abb. 3). Die teils direkt in Kontakt mit dem Tumor befindlichen, teils nicht erhaltungswürdigen Zähne 11, 21, 24, 25, 46 und 47 wurden im Rahmen der Operation extrahiert (Abb. 4). Zusätzlich fand eine beidseitige selektiv-funktionelle Neck Dissection statt. Zur lokalen Rekonstruktion des Weichgewebes wurde ein kaudal gestielter Nasolabiallappen von links nach enoral eingeschlagen. Aufgrund der Ausdehnung des in sano resezierten Tumors (pT4a, pN0(0/30), L0, V0, Pn0, G2, R0) mit einer Infiltrationstiefe von 11 mm folgte dem chirurgischen Eingriff eine adjuvante Radiochemotherapie. Der Patient entschied sich im weiteren Verlauf für eine heimatnahe Rekonstruktion des Defekts mit einem avaskulären Beckenkammtransplantat, das jedoch nach Bildung einer Dehiszenz und ausbleibender Einheilung entfernt werden musste. Circa 2 Jahre nach der ablativen Entfernung des Oberkieferkarzinoms erfolgte so eine Wiedervorstellung mit Bitte um Rekonstruktion. Da sich in der Tumornachsorge kein Hinweis auf das Auftreten von Rezidiven und/oder Metastasen darstellte, erfolgte in Absprache mit dem Patienten, der als primäres Ziel eine Rekonstruktion der Kau­funktionalität anstrebte, primär aufgrund der ausgeprägten Einziehung der Oberlippe nach Einlagerung des Nasolabiallappens und Verlust des Beckenkammtransplantats eine Vestibulumplastik des Oberkiefers mit Spalthaut. Im zweiten Schritt wurden 4 Implantate im Oberkiefer in regio 11, 21, 23 und 27 und 2 im Unterkiefer in regio 46 und 47 unter oraler Antibiose mithilfe einer 3D-Schablone inseriert (jeweils Straumann BLX®; Abb. 5), die subgingival einheilten. Bei der chirurgischen Freilegung stellte sich das Implantat in regio 27 als nicht osseointegriert dar und wurde explantiert. Von einer Nachimplantation wurde nach eingehender Abwägung des Risikoprofils (stattgefundene Radiochemotherapie) abgesehen und der Patient zur Versorgung an die Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde überwiesen

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Prothetische Therapie

Der Patient stellte sich als ausgesprochen compliant und technisch sehr versiert dar. Als leidenschaftlicher Trompetenspieler stellte er klare Anforderung an die Gestaltung der Suprakonstruktion mit Bitte um minimalen Overjet, da sonst sein durch die Operation nicht mehr vorhandener Lippenschluss weiter negativ beeinflusst werden würde. Den sehr regen Austausch mit dem Patienten sieht man beispielhaft in Abbildung 6, die eine schematische Darstellung der besprochenen prothetischen Elemente darstellt. Der Fokus lag auf der Rehabilitation der Sprache und der Kau­funktion durch eine steggetragene herausnehmbare Suprakonstuktion. Grundsätzlich wurde eine Gaumenfreiheit gewünscht, die in der Patientenaufklärung besprochen und intensiv im Hinblick auf Stabilität und Erweiterbarkeit diskutiert wurde. Dabei stand einerseits der Patientenwunsch im Vordergrund, sollte aber mit den technischen Möglichkeiten vereinbar bleiben. Die fast lineare Anordnung der osseointegrierten Implantate und der Verlust des Implantats in regio 27 für ein idealeres Unterstützungspolygon erwiesen sich als Herausforderung im Fräszentrum der Mesostruktur (ATLANTIS™ ISUS, Abb. 7). Dabei wurde auf die grazile Ausdehnung im Frontzahnbereich geachtet und die 2–1 Konstruktion zusätzlich durch 2 Riegel unterstützt (Abb. 8–11). Der Zahn in regio 28, der vital war, eine Taschentiefe von < 4 mm und keinen Lockerungsgrad aufwies, wurde als distaler Unterstützungspfeiler mit einer Klammerauflage versehen. Sollte es hier in Zukunft zu einem Zahnverlust kommen, ist die Insertion von zusätzlichen Implantaten avisiert. Die Implantate 46 und 47 wurden konventionell prothetisch versorgt (Abb. 12). Durch ein patientenindividuelles und engmaschiges Recall wird eine Kontrolle von streng zu vermeidenden Druckstellen und eine Überprüfung der Hygienefähigkeit in Zukunft neben der standardisierten Tumornachsorge durchgeführt werden.

Diskussion

Der vorliegende Fall beinhaltet eine implantatprothetische Rehabilitation bei einem durch eine vorherige ablative Chirurgie der anterioren Maxilla und einer adjuvanten Radiochemotherapie kompromittierten Patienten nach Fehlschlag einer alio loco durchgeführten avaskulären Knochentransplantation. In der Literatur finden sich wenige Studien mit Nachuntersuchungen der Implantatüberlebensraten im bestrahlten Gebiet, wobei – unter Beachtung multipler Kautelen – auch bei bestrahlten Patienten besonders im Oberkiefer ein ähnliches Langzeitüberleben der Implantate im Vergleich zu nicht-bestrahlten Patienten beobachtet werden konnten [4, 8]. Die Wirkung der Chemotherapie auf die Osseointegration und das Überleben von zahnärztlichen Implantaten ist nicht gut belegt, obwohl gezeigt wurde, dass das Risiko einer durch Bestrahlung verursachten Knochenschädigung durch eine Chemotherapie erhöht wird [6]. Tiermodellstudien legen nahe, dass Chemotherapeutika den normalen physiologischen Knochenumsatz, insbesondere die osteoblastische Aktivität, nachteilig beeinflussen und auch die Frakturheilung und den Einbau von Knochentransplantaten durch dieselben Mechanismen verändern [9]. Des Weiteren wurde der Aspekt der besonders vulnerablen Mundschleimhaut dieses Patientenklientels herausgearbeitet und auf die Tegumententlastung durch implantologische Unterstützung hingewiesen [5]. In dem gezeigten Fall wurde auf die Augmentation (mit einem mikrovaskulären Transplantat bei ersatzschwachen bis unfähigem Lager) vor allem aufgrund des vorausgegangenen Verlustes eines alio loco inserierten Knochentransplantats sowie der Möglichkeit eines minimalinvasiveren Vorgehens nach ausführlicher Aufklärung des Patienten über alle Optionen mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen verzichtet.

Aufgrund der hohen Patientencompliance und der handwerklichen Geschicklichkeit sowie einer grundlegenden Beurteilung und prognostischen Einschätzung der Restzähne des Oberkiefers konnte dem Wunsch nach Gaumenfreiheit nachgekommen werden und Riegelelemente als zusätzliche Halteelemente eingefügt werden.

Fazit

Die Wahl zwischen chirurgischer Rekons­truktion mit Knochentransplantaten und einer minimalinvasiveren implantatprothetischen Rehabilitation von Oberkieferdefekten (inklusive einer Obturatoranfertigung) nach ablativer Chirurgie orientiert sich unter anderem an der Art des Defektes inklusive des residualen Weich- und Hartgewebes, den individuellen Risikofaktoren und Präferenzen sowie den sozioökonomischen Möglichkeiten. Generell ist keine der Methoden strikt zu bevorzugen, und es lässt sich oft in beiden Fällen – bei sorgfältiger präoperativer Planung – eine ausreichende Wiederherstellung von Funktion und Ästhetik erreichen.

Interessenkonflikte: Die Autoren geben an, dass in dem Zusammenhang mit dem Beitrag keine Interessenkonflikte bestehen. Außerhalb der eingereichten Arbeit gibt Dr. Bjelopavlovic an: Straumann. Dr. Kämmerer: Wissen kompakt, ZZI, Sanofi-Aventis, Straumann, Zahnärztekammer, ITI.

dr. monika bjelopavlovic, m.sc.

Universitätsmedizin Mainz, Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde

monika.bjelopavlovic@unimedizin-mainz.de

 

pd dr. dr. peer w. kämmerer

Leitender Oberarzt und stellv. Klinikdirektor; Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie − Plastische Operationenen − der Universitätsmedizin Mainz

peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de

Literatur

  1. Allison PJ, Locker D, Feine JS:. The relationship between dental status and health-related quality of life in upper aerodigestive tract cancer patients. Oral Oncol 1999; 35: 138–143
  2. Bender-Heine A, Wax MK:. Reconstruction of the Midface and Palate. Semin Plast Surg 2020; 34: 77–85
  3. Buurman DJM, Speksnijder CM, de Groot RJ, Kessler P, Rieger JM: Mastication in maxillectomy patients: A comparison between reconstructed maxillae and implant supported obturators: A cross-sectional study. J Oral Rehabil 2020; 47: 1171–1177
  4. Chrcanovic BR, Albrektsson T, Wennerberg A: Dental implants in irradiated versus nonirradiated patients: A meta-analysis. Head Neck 2016; 38: 448–481
  5. Grötz KA, Duttenhoefer F, Füssinger MA, Boecker M, Beckmann Y: S3-Leitlinie: Dentale Implantate bei Patienten mit Immundefizienz. AWMF online 2019; www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/083–034m_S3_Implantate_Immundefizienz_2020–07.pdf (letzter Zugriff am 12.10.2020)
  6. Marx RE: Osteoradionecrosis: a new concept of its pathophysiology. J Oral Maxillofac Surg 1983; 41: 283–288
  7. McCord JF, Michelinakis G: Systematic review of the evidence supporting intra-oral maxillofacial prosthodontic care. Eur J Prosthodont Restor Dent 2004; 12: 129–135
  8. Schiegnitz E, Al-Nawas B, Kämmerer PW, Grötz KA: Oral rehabilitation with dental implants in irradiated patients: a meta-analysis on implant survival. Clin Oral Investig 2014; 18: 687–698
  9. Young DR, Virolainen P, Inoue N, Frassica FJ, Chao EY: The short-term effects of cisplatin chemotherapy on bone turnover. J Bone Miner Res 1997; 12: 1874–1882

(Stand: 24.11.2020)

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